Kultus.
81
in welchem das Kultusbild stand. Säulen, ursprünglich
aus Holz (zu 12, 1), später aus Marmor oder wohlfeileren
Steinarten, stützten in grofserer oder geringerer Anzahl
das Dach. Runde Tempel finden sich nur vereinzelt und
in späterer Zeit. Bei gröfseren Tempeln finden wir
hinter der eigentlichen Cella meist noch einen kleineren
Raum, welcher zur Aufnahme von Weihgeschenken, kost-
baren Tempelgeräten und sonstiger wertvoller Habe
diente. Auch war bei gröfseren Bauten, welche zehn
Säulen in der Front hatten, nach der Angabe des ro-
mischen Architekten Vitruv zum Behufe der Beleuchtung
eine Öffnung im Dache freigelassen (zu 10, 1). In der Regel
aber erhielt der Tempel sein Licht nur durch die Ein-
gangsthüre. An dem Hauptfeste des Gottes, das schon am
frühen Morgen das Volk vor seinem Heiligtume versam-
melte, warf die aufgehende Sonne ihr volles Licht durch
die geöffnete grofse Tempelthüre hindurch auf das im
Hintergründe des Raumes befindliche Götterbild. Denn,
wie nach neueren Forschungen bestimmt anzunehmen ist,
Waren die griechischen Tempel mit ihrer Eingangsseite
nicht nur im allgemeinen nach Osten gerichtet, sondern
genau nach dem Punkte, an Welchem gerade am Haupt-
festtage des Gottes die Sonne sich über den Horizont
erhob. In Rom legte man in alter Zeit die Eingangsthüre
wohl im Anschlufs an den Ritus der bilderlosen Zeit
nach Westen zu, damit der Priester, der das Gesicht
beim Opfern dem Tempel zuwandte, in die aufgehende
Sonne blickte; in späterer Zeit dagegen machte sich auch
in bezug auf Tempelorientierung griechischer Einflufs
geltend.
Die Behütung des Tempels und die Sorge für
die gewissenhafte Einhaltung des Rituals bei allen hei-
ligen Handlungen lag den Priestern ob; sie waren zu-
gleich Vermittler zwischen der Gemeinde, die dem
Bernharcli, Textbuch zu Schreibers Bilderatlas. 6