Kultus.
Die Kultgebräuche waren der einzige festste-
hende Bestandteil der antiken Religion. Der Teil
der letzteren, welcher dem Hauptinhalte des dogmatischen
Lehrgebäudes anderer Religionen entsprechen würde,
die Kunde von dem Wesen der Götter, die Erzählungen
von ihren Thaten und Schicksalen, war bei dem Mangel
heiliger Bücher oder feststehender mündlicher Überliefe-
rung in beständigem Flusse begriffen. Die vereinzelten
Bemühungen der priesterlichen Traditionen, hier und
dort den Kern eines Mythos rein zu erhalten, waren
von geringem Erfolge begleitet. Jedes neue Geschlecht
nahm für sich das Recht in Anspruch, die von den
Vätern überkommenen Sagen umzugestalten, jeder Dichter
hielt es für seine Aufgabe, sie nach der sittlichen oder
poetischen Seite hin weiterzubilden. Die Formen der
Gottesverehrung dagegen blieben durch die Jahrhunderte
hindurch die gleichen. Glauben durfte man von den
Göttern, was man Wollte, im Verhalten gegen sie aber
war keine Abweichung von den überlieferten Gebräuchen
gestattet. Die unbedeutendste Verletzung einer rituellen
Satzung wurde mit den strengsten Strafen geahndet,