im
W
staatlichen Freiheit gipfelte, erschütterte das Vertrauen zu
den Göttern, die der Staat als seine Beschützer verehrt
hatte, und drückte zugleich die Stimmung des gesamten
Volkes auf eine niedere Stufe herab. An die Stelle der
freudigen Zuversicht auf die eigene Kraft und auf die
dauernde Gunst der Götter traten Hoffnungslosigkeit und
Furcht und trieben die Menge teils einem blinden Aber-
glauben in die Arme, teils führten sie dieselbe fremden
und zwar hauptsächlich aus dem Orient kommenden
Kulten zu (15,5; 13,8, 9), die durch ihr geheimnisvolles
Wesen und die in leidenschaftlicher Erregung vollzogene
Gottesverehrung einen mächtigen Eindruck auf das Volk
ausübten.
Ähnlichen Erscheinungen begegnen wir bei den
Römern. Hier hatten die Schrecken der Bürgerkriege,
die damit Hand in Hand gehende Zerrüttung des Staats-
lebens und die fortschreitende Verarmung der nicht be?
vorzugten Klassen das Volk von der Verehrung der
Götter abgewendet, während zugleich die gesteigerte
Geistesbildung zur verstandesrnäfsigen Erkenntnis der
Hohlheit führte, von der die überlieferten religiösen Ge-
bräuche nicht frei Waren. Nicht Unfrömmigkeit allein
hat die Tempel und heiligen Haine der alten Götter
verödet, vielfach War es gerade ein tiefergehendes sitt-
liches Bedürfnis, welches den Frommen an jenen Stätten
keine Befriedigung mehr finden liefs. Es fehlte weder
in Hellas noch in Rom in jenen Zeiten an Spuren einer
gesteigerten religiösen Erregung, die sich durch lebhafte
Sektenbildung, Auftreten von Wanderpriestern und Wun-
dermännern (18, 8) und durch das Umsichgreifen fana-
tischer Gebräuche wie der Selbstgeifselung, ja sogar der
Selbstverstümmelung äufserte (zu 16,9; 18,9), durch die
man die verlorene Liebe der Gottheit wieder zu ge-
winnen hoffte.