Volltext: Textbuch zu Th. Schreibers kulturhistorischem Bilderatlas des klassischen Altertums ([Bd.1],Textbuch)

Kultus. 
nicht sowohl um die Mitteilung gewisser Geheimlehren 
handelte, als vielmehr darum, in den Andächtigen religiöse 
Stimmungen zu erwecken, welche geeignet waren, er- 
leuchtend auf seine Gotteserkenntnis und veredelnd auf 
sein 
sittliches 
Verhalten 
einzuwirken. 
Aber auch diese Veranstaltungen, so sehr sie den 
religiösen Bedürfnissen der Besten im Volke entgegen 
kamen, vermochten nicht bis zu dem Grade die über- 
lieferten Formen der Gottesverehrung mit neuem Inhalte 
zu erfüllen, dafs sie bei fortgeschrittener Geistesbildung 
den Verfall des Volksglaubens hätten aufhalten kön- 
nen. Noch Weniger freilich konnte dies erreicht Werden 
durch jenen auf die Schaulust der Menge berechneten, 
fortwährend gesteigerten äufseren Glanz, mit dem man 
die Feste der Gottheiten urngab. Gerade inmitten des 
Festgepränges wurde die ursprüngliche Bedeutung der 
Kultgebräuche am leichtesten vergessen, und in der Zeit, 
als die heitere Pracht des Gottesdienstes zu den herr- 
sehenden politischen und wirtschaftlichen Zuständen in 
grellen Widerspruch trat, mufste das echte religiöse Be- 
dürfnis andere Wege zu seiner Befriedigung suchen. 
Dazu trat die unterwühlende Thätigkeit der philo- 
sophischen Forschung. Zwar die ersten wuchtigen 
Schläge, welche die Philosophie noch vor den Perser- 
kriegen gegen die homerische Götterwelt führte, gingen 
an der Masse des Volkes spurlos vorüber; aber durch 
die Dramen des sophistisch gebildeten Euripides, der die 
tragische Bühne der gesamten griechisch redenden Welt 
Jahrhunderte lang beherrschte, wurden die Zweifel mitten 
in das Volk getragen und übten hier eine um so ver- 
derblichere Wirkung aus, je besser der Boden durch die 
politischen Ereignisse vorbereitet War. 
Das schwere Elend, Welches als Folge unglücklicher 
Kämpfe Griechenland heirnsuchte und im Verluste der
	        
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