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Kultus.
Dem mächtigen Einflüsse, den die griechische Bil-
dung auf das römische Leben ausübte, konnte sich die
römische Opfersitte nicht vollständig entziehen. Frei-
lich die musischen Künste haben sich niemals einen an-
nähernd so bedeutsamen Platz bei der römischen Fest-
feier errungen wie bei der griechischen. Wo es alt-
lateinische Gesänge religiösen Inhalts gab, behielten diese
ihre ursprüngliche unkünstlerische Form bei und waren
weit davon entfernt, Veranlassung zu Fortschritten auf
dem Gebiete der musischen Künste zu geben. Auch
das Flötenspiel, welches die römischen Opfer wie auch
zuweilen die griechischen begleitete (13, 8), hatte nach
der Auffassung der Römer selbst nicht den Zweck, die
Würde der Handlung durch die Weihe der Musik zu
erhöhen, sondern nur den, ungehörige, die Handlung
störende Worte, die etwa Während der Feier gesprochen
wurden, zu übertönen. Den Mittelpunkt der nach rö-
mischem Ritus gefeierten Opfer bildeten nach wie vor
die formelhaften Gebete, deren überlieferten Wortlaut
zu ändern man sich aus religiösen Bedenken scheute,
so dafs im Laufe der Zeit ihr Inhalt kaum mehr den
Priestern, geschweige denn der Menge verständlich war.
Beim Sprechen des Gebetes wie überhaupt bei jeder re-
ligiösen Handlung verhüllte der römische Priester sein
Haupt durch Heraufziehen der Toga (17,1; 19,14; vgl.
18,1; anders in der kriegerischen Szene 39, 2), während
die Griechen bei Gebet und Opfer das Haupt nur mit
dem Kranze bedeckten, zuweilen aber sogar den Ober-
körper, wohl um die vom Ritus geforderte Reinheit zu
zeigen, möglichst entblöfsten Doch fand die
Sitte der Bekränzung bei gewissen gottesdienstlichen
Handlungen, besonders für die nichtpriesterlichen Fest-
teilnehmer, auch in Rom Verbreitung (17,1; 19,
Neben diesen gebräuchlichsten Formen der G0ttesver-