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Die Kunst des gothisehen Styles.
eine Anlage, welche das französische Motiv in derber, zumeist noch la-
stender Schwere zur Erscheinung bringt. (Ihr Schiff ist ein etwas jünge-
rer Hallenbau.)
Dagegen nimmt der Dom von Halberstadt, d. h. der westliche,
an den Facadenbau (I, S. 508) zunächst anstossende Theil seiner Vorder-
schiffe, das französische System mit glücklichstem Verständniss auf und
giebt demselben, in den gegenseitigen Verhältnissen, in der Zusammen-
ordnung, in der Gliederung, eine Durchbildung reinsten Adels. (Dasselbe
System, aber in jüngerer Behandlung, setzt sich in den übrigen Theilen fort.)
Dem Hallenbau der hessiseh-westphälischen Lande folgen nur wenig
Denkmale. In einfach edler Behandlung ist diess bei dem Schiffbau der
Kirche von Nienburg der Fall. Die Marienkirche zu Heiligenstadt
giebt das System in eigenthümlicher Fassung, im Innern mit achteckigen
Pfeilern, die auf den Ecken mit Diensten besetzt sind. Ein ansprechen-
der frühgothischer Dekorativbau ist die zur Seite dieser Kirche stehende
kleine Annakapelle. Noch eigenthünalicher ist der in der zweiten Hälfte
des 13. Jahrhunderts begonnene und in der ersten Hälfte des folgenden
in seinen Haupttheilen beendete Dom von Meissen. Er hat im Innern,
wiederum auf der Grundlage romanischer Tradition (oder unter Einwir-
kung jener höchst vereinfachten gothischen Ordensbauten) viereckige Pfei-
ler, welche an der Vorder- und der Hinterseite mit flüssig bewegter
Gliederung versehen sind. Ein eigenes Wechselspiel massenhaft gebun-
dener Kraft und leichter Bewegung macht sich hienach bei der Wirkung
des Innenraumes geltend. (Die Pfeiler zunächst dem Querschiif, etwas
schlichter behandelt als die übrigen, gehören noch der Bauepoche des
13. Jahrhunderts, die übrigen der folgenden an.) Einzelne Theile, wie
der südliche Giebel des Querschiffes, in charakteristisch dekorativer Be-
handlung. 'Neben dem Dom die Magdalenenkapelle und die zierlich
achteckige zweigeschossige Johanniskapelle. (1291)
Noch mehr vereinzelt sind die Monumente der frühgothischen Epoche
in den übrigen deutschen Landen.
Die böhmischen, im nähern Verhältniss zu den sächsischen, reihen
sich zunächst an. Romanische Reminiscenz macht sichi auch hier noch
geltend. So an der schon (I, S. 510) erwähnten kleinen Kirche der heil.
Agnes zu Prag. S0 an dem vorzüglich bedeutenden Schiffbau der Bar-
tholomäuskirche zu Kolin, einem Hallenbau, der sich von romanisirender
Grundstimmung aus energisch entwickelt und durch reiche vegetative
Ornamentik ausgezeichnet ist, und an der in gleicher Weise behandelten
Kirche von Kaurzim. Ein sehr schlichtes Werk friihgothischer Fas-
sung, ohne Romanismen, ist die alte Synagoge zu Prag.
Franken hat in dem östlichen Chortheil der Münsterkirche von
Heilsbronn (1263-80) ein schlichtes Beispiel beginnender Gothik, eben-
falls mit Motiven des Ueberganges, in den Giebelarkaden des Münz-
gebäudes auf der Salzburg bei Neustadt an der Saale ein überaus
reizvolles Dekorativstück derselben Richtung. Ein ansehnliches Werk,