VIII.
der Gegenwart.
Die Kunstbestrebunbgen
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dungen, durch welche das Wesentliche ihrer Composition einer vielseiti-
gen Anschauung anheimgegeben ist.
Dies führt uns auf die nachbildendcn und vervielfältigenden Künste
unsrer Zeit. Auch in ihnen sehen wir die mannigfaltigste und umfas-
sendste Thätigkeit vor uns, in vielen einzelnen Leistungen den besten
Arbeiten früherer Zeit gleich, in der Masse bei weitem ausgedehnter, als
dies bisher der Fall war. Der Holzschnitt, seit der Mitte des acht-
zehnten Jahrhunderts neu cultivirt, ist seitdem bei den Engländern, bei
den Franzosen und in jüngster Zeit auch bei den Deutschen mit glück-
lichstein Erfolge weiter gebildet worden; die Gedicgenheit seiner Leistun-
gen, .die Verbreitung derselben stellt ihn mit den Holzschnitten der frühe-
ren Zeit des 1G. Jahrhunderts auf eine völlig gleiche, zum Theil auf eine
höhere Stufe. Die Leistungen im Fache des Kupferstiches schlies-
sen sich dem würdig an, was in den beiden vorangegangenen Jahrhun-
derten hierin geliefert werden ist. fltaliener, _Franzosen, Deutsche und
Engländer ringen wetteifernd um den Vorzug. Der Stahlstich verspricht
dieser Kunstgattung eine noch ungleich grössere Verbreitung, als bis
dahin möglich war. Als eine andere Kunst, die ausschliesslich dem
gegenwärtigen Zeitalter angehört, ist die Lithographie zu nennen,
die in ihrer mehr populären Beschaffenheit nicht geringere Ansprüche
auf unsere Aufmerksamkeit, rücksichtlieh ihrer Bedeutung zum Ganzen
der Kunstentwviekelung hat. Neben der Lithographie ist in der letzten
Zeit noch eine ganze Reihe andrer Vervielfältigungsmethoden erfunden
werden, die das Interesse von Künstlern und Kunstfreunden in Anspruch
genommen haben und jedenfalls zur weitern Popularisirung der Kunst
beizutragen geeignet sind.
Es ist augenscheinlich, dass eine so bedeutende Mannigfaltigkeit,
eine so vielseitige Ausübung der vervielfältigenden Kunstgattungen einen
namhaften und von den früheren Epochen verschiedenen Einfluss auf die
allgemeine Entwickelung der Kunst ausüben muss. Ohne diesen näher
bestimmen zu wollen, ohne auch läugnen zu wollen, dass dieser Einfluss
in manchen Beziehungen unvortheilhaft wirken könne, ist jedenfalls an-
zunehmen, dass dadurch eine früher nie geahnte Verbreitung des Kunst-
sinnes und der Freude an künstlerischer Darstellung hervorgebracht werden
müsse. In solchen Beziehungen ist hier auch auf die verschiedenen
Instrumente hinzudeuten, die in völlig maschinenmässiger Behandlung, zur
Erzeugung selbständig bedeutender bildnerischer Darstellungen dienen,
und deren Erfindung ebenfalls unsrer Zeit angehört: so die Oollas'sche
Reliefcopiermaschine, so die WVunder-Erfindung unsrer Zeit, die Daguerro-
typie und Photographie, u. A. m. Es versteht sich von selbst, dass es
bei Maschinen-Arbeiten sich nicht um geistig künstlerische Interessen
handelt; eine mehrfach verschiedene Rückwirkung derselben auf den
Kunstbetrieb kann jedoch ebenfalls nicht ausbleiben.
Die Kunst unsrer Zeit ist überaus reich an Mitteln und an Kräften,
Wenn diese Mittel und diese Kräfte, ein jedes nach seinem Maasse, einem
Kngler, Handbuch der Kunstgeschichte. II. 33