VIII.
Kß-F
Die Kuustbestrebungen
der Gegenwart.
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durchgebildet nach den Bedürfnissen einer mehr entwickelten Kunst, er-
kennen lassen. Als der bedeutendste Meister, der an solcher Richtung
mit Entschiedenheit festgehalten, ist Overbeck zu nennenß Neben
ihm sind als Vertreter derselben Auffassung in Deutschland Philipp
Veit, Joseph Führich, Steinle, Heinrich Hess erwähnens-
werth,2 in Frankreich der edle Hi ppolyt Flandrin, derfrühver-
storbene V. Orsel und Perin. Unter denen, welche die religiöse Malerei
mit einer vollkommenen naturwahrenDurchbildung der Formen zu ver-
binden suchen, gehört E. Deger, 3 der Meister der Apollinariskirche bei
Remagen zu den bedeutendsten. Auch Schraudolph (Malereien im
Dom zu Speyer) ist hier hervorzuheben, sodann Jul. Schnorr von
Carolsfeld wegen seiner umfassenden und an Schönheit reichen Com-
positionen zur Bibel.
Endlich ist diesen verschiedenen Entwiekelungsstufen derjenige Zu-
stand der Kunst gefolgt, der vorzugsweise dem heutigen Tage nah steht,
dessen Eigcnthiimlichkeit zu beurtheilen für uns aber auch die grössten
Schwierigkeiten hat. Bei einzelnen Meistern erkennen wir es, wie ihre
Richtung aus einer oder der andern der vorangegangenen Stufen sich
herausgebildet hat; andre stehen uns scheinbar in völliger Freiheit und
Unabhängigkeit gegenüber. Im Allgemeinen können wir sagen, dass ein
Anlehnen an die Entwickelungsmomente früherer Epochen nicht mehr als
gültig anerkannt werde, dass die Kunst wiederum frei und miindig zu
sein sich bestrebe. In bedeutender Einschränkung gilt dies zunächst
zwar von der Architektur; hier sehen wir nur erst sehr vereinzelte An-
deutungen, welche eine bedeutsamere Zukunft verheissen. Doch scheint
es, dass jene Aufnahme des romanischen Baustyles (vorausgesetzt, dass
sie keine Nachahmung sei) zu weiteren und eigenthümlichen, dem heuti-
gen Zustande der Cultur nicht unangemessenen Resultaten führen könne.
Dann finde ich soweit meine Kunde von den heutigen Leistungen
reicht vornehmlich in einigen, nicht zur Ausführung gekommenen
Kirchenplänen, die von Schinkel entworfen sind, 4 eine Ausbildung des
Bogen- und Gewölbebaues, die als durchaus eigenthümlich und der heu-
tigen Gefühlsweise vorzüglich zusagend anerkannt werden muss. Das-
selbe gilt von dem so geistreichen wie anmuthvollen architektonischen
System, welches er an der Fagade der Bauschule zu Berlin 5 zur An-
Wendung gebracht hat. Ueberhaupt ist hier darauf hinzuweisen, dass
eine naturgemässe Umgestaltung der Baukunst durch die gesundere con-
structive Richtung angebahnt wird, welche sich aller Orten regt und in
der Verzichtleistung auf das Flickwesen der Putz- und Mörtelarchitektur,
in der Wiederbelebung und eharakterischen Ausbildung unseres heimi-
schen Backsteinmateriales (zuerst und hauptsächlich durch Schinkel),
endlich in der künstlerischen Ausprägung der neuen structiven Elemente,
namentlich des in umfassender Weise zur Anwendung kommenden Eisens
(vorzüglich und mit grossem Erfolg bei den Franzosen) sich bewährt.
1 Denkmäler der Kunst, Taf. 106 u. 119. 2 Ebenda, T. 119. 3 Eben-
da, T. 122. 4 Im fünfzehnten und Seüllszehnten Heft der SehinkePschen Ent-
Würfe. Vgl. im Uebrigen Kuglefs Schrift: K, F, Schinkel; eine Charakteristik
seiner künstlerischen Wirksamkeit. 5 Denkmäler d. Kunst, T. 108. Fig. 1-3.