VIII.
K11?
Die
der Gegenwart.
Kunstbestrebungen
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rakteristisehe Unterschiede von den Bestrebungen der früheren Epochen
aufmerksam machen.
Fürs Erste ist der Antheil, den gegenwärtig die europäischen Völker
an den künstlerischen Interessen nehmen, zum Theil wesentlich verschie-
den von den früheren Verhältnissen. Italien, Jahrhunderte hindurch als
die Herrin und Meisterin im Bereiche des künstlerischen Schaffens aner-
kannt, erscheint von jener beneidenswerthen Höhe tief herabgesunken,
und nur vereinzelte Erscheinungen treten uns hier noch als der Nachhall
einer glücklicheren Vergangenheit entgegen. Zuerst von jenem Geiste des
neuen Zeitalters freudig angehaucht, dann ihn mit Gewalt vernichtend,
hatte Italien mit ihm auch den Keim eines neuen Lebens von sich ge-
stossen, und das alte schien ohnmächtig und keiner Erneuung mehr fähig
dahinzuwelken. Ob und welche Erneuung im Gefolge der jüngsten ge-
waltigen Erhebung des nationalen Geistes hier statt finden wird, wissen
wir noch nicht. Dasselbe war der Fall mit Spanien; doch bietet auch
hier die jüngste Zeit das Schauspiel einer stürmischen Regeneration dar,
deren Früchte aber freilich ebenfalls erst von der Zukunft zu erwarten
sind. Frankreich und Deutschland dagegen erscheinen als die beiden
Mächte, denen vorzugsweise das neue Kunstleben angehört; glänzender,
mehr in die Sinne fallend, zum Theil auch mehr umfassend, hat sich
dasselbe in Frankreich entfaltet; stiller und schlichter, aber auch mit
tieferem und reinerem Gefühle erfasst, in Deutschland. Belgien schliesst
sich, mit offenem Blick für die ältere nationale Kunstweise, vorzugsweise
an Frankreich an; Holland hat die Bahn der Vorfahren nicht ohne Glück
aufs Neue eingeschlagen. In England sind mancherlei künstlerische
Kräfte, zum Theil von namhafter und eigenthümlieher Bedeutung hervor-
getreten, ohne_ dass die dortige Thätigkeit im Ganzen jedoch mit der von
Frankreich und Deutschland zu vergleichen wäre. Noch weniger gilt dies
von dem Kunst-Streben, welches in den skandinavischen und slavischen
Ländern erwacht ist, obgleich auch aus ihnen künstlerische Erscheinun-
gen, einzelne sogar von höchster Bedeutung, hervorgegangen sind.
Sodann sind wir wenigstens soweit von dem ersten Beginn des neuen
Aufschwunges der Kunst entfernt, dass wir, auch in ihm bereits einige
besondere Stufen der Entwickelung unterscheiden können. Wir finden in
der Aufeinanderfolge dieser Stufen eine gewisse innere Nothwendigkeit,
die uns nicht minder, wie die einzelnen Meisterwerke in ihrer abgeschlos-
senen Bedeutung, zu einer Bürgschaft für die selbständige Gültigkeit der
s gegenwärtigen Epoche dienen darf.
Als die erste Stufe dieses Entwickelungsganges haben wir, wie es
scheint, gewisse, ob auch zum Theil vereinzelte Bestrebungen zu betrach-
ten, die vorzugsweise noch dem 18. Jahrhundert, etwa schon der Zeit
seit der Mitte desselben, angehören. Es sind solche, in denen sich das
Princip einer einfachen und völlig unbefangenen Natürlichkeit, und
hierin eine sehr glückliche Gegenwirkung gegen das manierirt conventio-
nelle Wesen, welches bis dahin vorherrschend war, ausspricht. Diese
Bestrebungen finden sich vornehmlich in Deutschland; als ihr Hauptsitz
erscheint Berlin. Für das Fach der Malerei mögen in diesem Betracht
die kleinen radirten Blätter von D. Chodowiecki (1726-1801), deren