Der Kupferstich.
495
Hälfte des 16. Jahrhunderts angehört, bezeichnen entschiedener den
Uebergang zur italienischen Kunstrichtung, auch schon zu einer manieri-
stischen Behandlungsweise; so der Augsburger Daniel Hopfer und der
Nürnberger Virgilius Solis.
Unter den Niederländern jener Zeit seiehnet sich Lucas von
Leyden durch die höchste Feinheit und Gewandtheit im Mechanischen
des Stiches, Dirk van Staren (gest. 1544) durch eine edle Ausbildung
des eigenthümlich niederländischen Charakters aus.
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, welche die allgemeine
Verbreitung jener reineren, von den grossen italienischen Meistern aus-
gebildeten Behandlung der Form, ob auch in äusserlich manieristischer
Auffassung, zur Folge hatte, gelangte auch der Kupferstich, was das
Formelle seiner Technik anbetrifft, zu einer höheren Stufe. Dies geschah
in den Niederlanden, und zwar vornehmlich durch den Holländer Hein-
rich Goltzius, (1558-1617). Er förderte jene plastische Behandlungs-
weise, die bei den älteren Italienern nur mehr in Andeutungen bestanden
hatte, zu einer wundersamen Ausbildung, indem er durch den Schwung
und die Bewegung seiner Schattenlinien, durch ihr Anschwellen und Ver-
schwinden, durch die verschiedene Weise ihrer Durchschneidung allen
Gesetzen der Modellirung aufs Genaueste zu folgen wusste. Der geistige
Gehalt seiner Werke ist allerdings gering; aber man möchte fast sagen,
es sei dieser Mangel nöthig gewesen, um zu einer also freien Herrschaft
über den Steif gelangen zu können. Ihm schloss sich eine namhafte
Anzahl von Nachfolgern an; unter seinen Schülern sind besonders her-
vorzuheben: Jacob Matham, Johann Müller und Job. Sanredam.
Bei Andern, wie bei den Gebrüdern Sadeler, unter denen Johann
(geb. 1550) der bedeutendste ist, ging indess auch das Aeussere dieser
Behandlungsweise in Manier über.
Durch Goltzius" Bestrebungen war dem Kupferstich zuerst das Feld
eröffnet worden, auf welchem seine volle Bedeutung sich entwickeln sollte,
erst in solcher Behandlung war er geeignet, die Leistungen der höheren
Kunst mit selbständig künstlerischer Gültigkeit nachzubilden, gleich ihnen
die volle Durchbildung der Form, alle Unterschiede des Stoiflichen _in
der Erscheinung und selbst den Anschein der Farbe wiederzugeben. Die-
ser Grad der technischen Ausbildung forderte aber auch eine ausschließ-
liche Hingabe von Seiten des Künstlers, der sich "dem Stiche widmen
wollte; für den Maler, der darin Seine ldßßn unmittelbar auszudrücken
und zu vervielfältigen gedachte, war er nicht füglich mehr geeignet. Die
Maler wandten sich somit, für diese Zwecke, fortan der Aetzkunst zu,
in welcher die leichten Spiele der Radirnadel dem Gedankengange un-
gleich bequemer und unmittelbarer folgen mussten. S0 haben die nieder-
ländischen und vornehmlich die holländischen Maler des 17. Jahrhunderts
(auch einzelne, die andern Nationen angehören) eine ungemein grosse