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Kalb
Die
bild.
Kunst des
und
J ahrh.
Seullatur.
auszudrücken wusste. Es ist etwas Rauschendes, ecstatisch Bewegtes in
seinen Gestalten, und zugleich, im Einzelnen der Behandlung, eine 'Na-
turwahrheit, durch welche diese Gluth des Gefühles dem Beschauer un-
mittelbar nahe gerückt wird. Aber die Begeisterung ist bei ihm kein
freier Erguss des Inneren, sie erscheint wesentlich nur als eine Erhitzung
des nüchternen Verstandes, und darum haben seine Darstellungen durch-
weg ein mehr oder weniger atfektirtes Gepräge; zugleich treibt ihn sein
Streben nach Naturwahrheit zu einer malerischen Behandlungsweise, in
welcher sich die Gesetze des plastischen Styles völlig auflösen. Dies
zeigt sich, um nur ein paar der zahlreichen Schöpfungen, mit denen er
vornehmlich Rom geschmückt hat, anzuführen, ebenso an seinen mäch-
tigen Gestalten des Oonstantin (zu Pferde) im Vatikan und des Longinus
in der Peterskirche, wie an den zarteren der h. Therese, die ohnmächtig
vor dem göttlichen Strahle niedersinkt, in S. Maria della Vittoria, und
der heil. Bibiana in der dieser Heiligen gewidmeten Kirche. In andern
Werken, wie z. B. in der Kathedra des hl. Petrus in der Peterskirche,
steigert sich sein Bestreben sogar bis zum barbarischen Ungeschmuck.
Lorenzo Bernini übte einen höchst bedeutenden Einiiuss auf seine
Zeitgenossen und Nachfolger aus. Unter jenen ist vornehmlich Alcs-
sandro Algardi (1598-_1G54) hervorzuheben, der in der Behandlung
der Form zwar mehr an dem Yorbiltlc der Antike festzuhalten suchte,
der aber nicht minder in Affcktation und unpasslich malerische Coinpo-
sitionsweise gerieth; so namentlich in seinem berühmtesten Werke, dem
grossen Relief des Attila in der Peterskirche zu Rom. Nur seine Kin-
derfiguren sind insgemein naiv und anmuthig. Neben ihm sind F ran-
cesco Mocchi (ursprünglich ein Schüler des Giovanni da Bologna,
gest. 1646) und Andrea Bolgi (gest. 1656) anzuführen. [Tnter den
Nachfolgern Berninfs mögen, neben unzähligen anderen, Ercole Fer-
rata und Antonio Raggi genannt werden. Der Einfluss des Ber-
nini erstreckt sich auch noch auf die italienische Sculptur des 18. Jahr-
hunderts; doch kehrt man in dieser Zeit allmählig von jener mehr be-
wegten Darstellungsweise zu einer solchen zurück, in welcher mehr
nüchterne Ruhe vorherrscht. Einige merkwürdige, obschon zuiueist nur
durch sonderbare Künstelei ausgezeichnete Arbeiten linden sich in der
Mitte des 18. Jahrhunderts zu Neapel; es sind einige Statuen in der
Kirche S. Severo, von den Bildhauern Corradini, Queirolo und
Sammartino gefertigt. Von letzterem sieht man dort einen, mit dem
Grabtuche bedeckten todten Christus, eine Arbeit, die jedoch zugleich
ein, für diese Zeit seltncs ernstes Gefühl vcrräth. Von den in Rom
thätigen Bildhauern erscheint Camillo Rusconi bei aller Befangelllleit
im malerischen Styl und in der Manier Berninfs doch mit einem edlem
Geschmack lIl der Art der bolognesischen Malerschule begabt (Grabmal
Gregors XIII. in S. Peter, 1723), Pietro Bracci dagegen als ein
blos handfester Manier-ist (Grabmäler Benedicüs XIV. und der Maria So-
bieska, ebendaselbst).
Einige niederländische Bildhauer des 17. Jahrhunderts er-
scheinen in reinerer WVürde, in edlerer Naivetät, auch glücklicher in der
Behandlung des plastischen Stylcs, als die vorgenannten Italiener. S0