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III.
Die ital. bild. Kunst in d. ersten Hälfte d.
J ahrh.
Malerei.
l
woselbst auch eins der liebenswürdigsten Zustandsbilder der veneziani-
schen Malerei, als Palmais Töchter bezeichnet. Andre Werke dieses
trefflicheniMeisters gehen unter fremdem Namen: so in der Pinakothek
zu München das schöne Männerbildniss, das als Portrait Giorgiones
gilt; so im Museum zu Braunschweig ein grosses, prächtiges, doch
sehr verdorbenes Bild, Adam und Eva in einer Landschaft; so vor allem
das herrliche Frauenbildniss in der Gal. Sciarra zu Rom, dort irrig für
einen Tizian ausgegeben. In früheren Werken erscheint Palma übrigens,
gleich Giorgione, noch als Anhänger des Gio. Bellini.
Tiziano Vecellio (1477-1576) war ebenfalls in der Schule des
Bellini gebildet worden; auf seine weitere Entwickelung scheint das
kühne Streben seines Mitschülers Giorgione nicht ohne Einfluss gewesen
zu sein; doch war es ihm, dem ein günstiges Geschick das äusserste
Lebensziel steckte, beschieden, das, was der letztere begonnen, zur voll-
endeten, klaren und freien Entfaltung zu bringen. Von seinen Gemäl-
den gilt vornehmlich, was im Obigen über den Charakter der veneziani-
schen Kunst gesagt ist; in ihnen erscheint derselbe in seiner umfassendsten
und ergreifendsten Bedeutung; in ihnen wandelt sich die, noch etwas
herbe Glut des Giorgione zum heitersten, lichtvoi-l harmonischen Colorit
um. Natürlich tragen die Werke seiner Hand, je nach den verschiedenen
Zeiten seines Lebens, einen verschiedenartigen Charakter, mehr indess
nur in Bezug auf das Aeussere der Behandlung, als in Bezug auf das
innere Streben. In den wenigen Bidern, die sich aus seiner Jugendzeit
erhalten haben, erkennt man wiederum noch das alterthümlich strenge
Gepräge der Bellinfschen Schule; als ein ungemein schönes Werk, wel-
ches an der Grenze dieser Frühperiode steht, ist sein Christus mit dem
Zinsgroschen, in der Galerie von Dresden, zu nennen; die Strenge der
Behandlung erscheint hier bereits zur liebevoll zartesten Durchbildung
umgewandelt. Ebenfalls aus seiner Frühzeit der thronende S. Marcus
mit andern Heiligen, in der Sakristei von S. M. della Salute zu iVenedig.
In den Zeiten seiner glücklichen Kraft vereint sich sodann mit dieser
Durchbildung ein freier, auf die Gesammtwirkung berechneter Vortrag;
später jedoch hat er zumeist nur die Gesammtwirkung im Auge, und die
letzten Bilder seiner Hand endlich können, bei aller meisterlichen Praxis,
doch die Schwäche des Alters nicht verleugnen. Jenes der Antike
verwandte Element, welches oben als Grundzug der venezianischen Kunst-
richtung bezeichnet wurde, tritt am Entschiedensten an denjenigen Bil-
dem hQPVOr, welche den Menschen in einem ursprünglichen Naturzustande
fassen; ihr Gegenstand ist demgemäss sehr häufig aus der antiken Mythe
Selbst entnommen. Als vorzügliche Beispiele von Bildern solcher Art
sind ällzllführen: die sog. drei Lebensalter, in der Bridgewater-Galerie
zu London; ein überaus herrliches Bild, als himmlische und irdische
Liebe bezeichnet, in der Galerie Borghese zu Rom; ein groSSeS Baccha-
nal, im lllllsellm VOR Madrid und ebendort das heitere ländliche Opfer-
fest mit einem Schwarm entzückend naiver Kinder; Venus und Adonis,
ebendaselbst; Bacchus und Ariadne, in der National-Galerie zu London;
zwei Bilder des Dianenbades, mit der Calisto und mit dem Actäon, in
der Bridgewater-Galerie zu London (beide schon aus der späteren Zeit