Die Meister der venetianisehen Schule.
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werden. Doch verweilt er nicht im herkömmlichen Kreise religiöser Dar-
stellungen, sondern er schafft sich zugleich, mit einem eigen poetischen
Sinne, ein weiteres Feld, welches mit seiner Auffassungs- und Behand-
lungsweise im näheren Einklange steht. In dieser Art erscheinen manche
an die Allegorie streifende Dartellungen, die zumeist noch seiner früheren
Zeit angehören; sodann Charakterköpfe, zuweilen mehrere auf Einem
Bilde, so das sogenannte Concert, drei Brustbilder von fcsselndster Cha-
rakteristik, in der Galerie Pitti zu Florenz, und ein ähnliches novellen-
artiges Gemälde im Louvre, sowie, wahrscheinlich, eine in London
im Privatbesitze befindliche, aus der Sammlung des verstorbenen Lords
Northwick stammende, nur flüchtig, aber meisterhaft behandelte verwandte
Darstellung; sodann die drei Astrologen oder Magier, die Sebastian del
Piombo vollendete, im Belvedere zu Wien, und ein anderes Bild ebenda,
ein von einem Krieger überfallener Jüngling. Sodann einzelne, mit gross-
artig freier Phantasie behandelte legendarische Scenen, wie sein Seesturm,
in der Akademie von Venedig, der freilich so oft übermalt worden ist,
dass man Giorgione's Hand darin nicht mehr zu erkennen vermag; beson-
ders aber verschiedene Bilder, die das Gepräge theils einer mehr idylli-
schen Poesie tragen, wie das anmuthige Bild von Jakob und Rahel in
der Galerie von Dresden. Endlich malte der Meister Fresken an den
Aussenseiten verschiedener Paläste, besonders des Fondaco de' Tedeschi
zu Venedig, deren schwache Spuren noch vorhanden sind.
Unter den Schülern des Giorgione ist besonders Fra Sebastiano
del Piombo von Bedeutung, dessen bereits bei den Nachfolgern des
Michelangelo gedacht ist; ehe er der Oompositionsweise des letzteren
sich anschloss, erscheint er entschieden als Nachfolger des Giorgione
(Hauptwerk dieser frühern Zeit: das oben erwähnte Altarbild in S. Gio-
vanni Orisostomo zu Venedig). Sodann Giovanni Nanni da Udine,
der ebenfalls schon bei den Schülern Rafaels genannt ist. Ferner
Giro]. Romanino aus Brescia, ein Künstler von bedeutender Begabung
und energischer Darstellungsweise; (frühes Hauptbild in S. Francesco
zu Brescia, vom J.1502; in S. Giustina zu Padua ein grossartig auf-
gebautes Altarwerk; ausserdem zahlreiche Fresken in Brescia und der
Umgegend bis Trient, wo er das Schloss des Bischofs ausmaltel;
Giov. Girol. Savoldo, ebenfalls aus Brescia, ein tüchtiger Meister,
dessen Färbung aber einen etwas kühlen, grauen Ton, und dessen Auf.
fassung etwas Strenges hat (ein Hauptbild in der Brera zu Mailand).
Ein anderer ganz vorzüglicher Nachfolger des Giorgione war J acopo
Palma, il vecchio, der indess nicht jene strenge Kraftdes grösseren
Meisters hat; er ist liebenswürdig in dem Ausdrucke eines milderen Ge-
fühles, weiss aber sowohl in Glut der Farbe wie in Macht der Auffassung
sich dem Giorgione nicht selten Zu nähern. Ausgezeichnete Altarbilder
von ihm in S. Maria formosa zu Venedig und in S, Stefano zu Vi-
cenza; ferner eine vorzügliche h. Familie im Pal. Colonna zu Rom,
und ähnliche Bilder im Louvre zu Paris und im Museum zu Dresden,
1 Mündler spricht ihm auch Qas gchöne Bild im Louvre,
S. Sebastian, zu, das dort dem Gwrglone zugeschrieben wird.
die
Familie mit