Die italienische Architektur
des
Jahrhunderts.
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hier die Unterschiede ungleich geringer ins Auge fallen, als bei den
Werken der bildenden Kunst. Die besonderen Eigenthümlichkeiten der
modernen Architektur bewirken sogar einige, nicht unwesentliche Modifi-
cationen in den Verhältnissen jenes Entwickelungsganges. Es ist dem-
nach vortheilhaft, die Architektur zunächst gesondert zu betrachten; nur
was der neuesten Zeit angehört, wird später neben den anderweitigen
Richtungen der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart zu berüh-
ren sein.
Architektur
italienische
Die
des
Jahrhunderts.
Italien erscheint als die Wiege der modernen Architektur; die
Werke, welche dort ausgeführt wurden, blieben fast ausschliesslich das
Vorbild für die architektonischen Unternehmungen der übrigen Länder.
Wir haben somit für jetzt imsre vorzüglichste Aufmerksamkeit den Mo-
numenten dieses Landes zuzuwenden. Hier fand sich die grösste Anzahl
mehr oder weniger erhaltener Denkmäler aus der Zeit des classischen
Alterthums vor; doch nicht blos dies äusserliche Verhältniss, sondern
zugleich das innerliche, dass auch der Geist der Italiener, während der
gesammten Zeit des Mittelalters, eine gewisse Verwandtschaft mit den
früheren Bewohnern des Landes bewahrt hatte, war der Grund, dass sie
zuerst und mit Entschiedenheit auf die Formen der antiken Architektur
eingingen. Diese ihre Sinnesrichtung hatte es namentlich verhindert,
dass das gothische Bausystem bei ihnen zu einer klaren Entfaltung ge-
kommen war. Wenn uns einerseits an ihren gothischen Bauten der rein
dekorative Gebrauch oder Missbrauch der aus dem Norden überkommenen
Einzelformen und der Mangel an organischer Durchbildung empfindlich
auffiel, so war auch unter dieser entlehnten Hülle das Regen eines neuen
Geistes nicht zu verkennen, welcher statt der rhythmischen Bewegung
des nordisch Gothischen die Schönheit des Raumes und der Massen zum
Lebensprincip hatte. Dieser neue Sinn musste schon an sich die Archi-
tektur seit überhaupt die Bande der Gothik sich aufzulösen begannen-
dazu nöthigen, sich den Formen der classischen Kunst wiederum völlig
hinzugeben. So entwickelt sich in Italien die moderne Architektur be-
reits in der frühern Zeit des 15. Jahrhunderts; und nur in einzelnen
Ausnahmen (die besonders der Lombardei angehören) sehen wir im Ver-
lauf dieses Jahrhunderts noch Bauwerke gothisohen Styles ausführen, der
diesseits der Alpen geraume Zeit noch entschieden vorherrschend blieb.
Die ersten Unternehmungen, die in Italien, im Verlauf des 15. Jahr-
hunderts, zur Gestaltung und Ausbildung des modernen Architekturstyles
geschahen, bilden die eigentliche Blüthezeit desselben. An der Gränz-
Scheide des romantischen Zeitalters stehend, weht auf sie noch ein frische-
rer Lebcnshauch herüber, der ihnen ein anziehendes Gepräge verleiht.
Noch bemüht man sich, mit Selbständigkeit die klassischen Formen auf--
Zufassen und diese mit besondrer Rücksicht auf das, von den antiken
Gebäuden abweichende Ganze auszubilden, während sich später das-
Ganze vielmehr dem, als unabweisliches Princip und trotzdem (10011
nur unvollständig-aufgenommenen antiken Systeme fügen muss. Hätte-