Volltext: Handbuch der Kunstgeschichte (Bd. 2)

ALLGEMEINE 
BEMERKUNGEN. 
Die moderne Kunst bildet die unmittelbare Fortsetzung der Kunst 
des Mittelalters; sie beginnt mit dem Anfange des 15. Jahrhunderts, so 
jedoch, dass in einzelnen Gegenden, in einzelnen Gattungen der Kunst, 
von Seiten einzelner Individuen die Typen, welche sich in der letzten 
Entwickelnngszeit der mittelalterlichen Periode ausgebildet hatten, noch 
geraume Zeit hindurch, zum Theil bis in das 16. Jahrhundert, festgehal- 
ten werden. Aber die moderne Kunst erscheint von vornherein wesent- 
lich verschieden von ihrer Vorgängerin, und die Eigenthümlichkeit ihrer 
Leistungen nöthigt uns, sie in bestimmter Sonderung von den Leistungen 
jener zu betrachten. Sie tritt gleichzeitig mit dem Erwachen eines wis- 
senschaftlichen Sinnes und wissenschaftlichen Strebens, mit dem gestei- 
gerten Bewusstsein der persönlichen Geltung hervor, wodurch von der 
genarmten Epoche ab das gesammte Leben der christlich-abendländischen 
Völker einen so beachtenswerthen Umschwung erhielt; sie entwickelt sich 
aus denselben Bedingnissen und prägt diese in ihren Werken aus. Das 
persönliche Bewusstsein führt darauf hin, das Einzelne in seiner Beson- 
derheit, als ein abgeschlossen Selbständiges, anzuerkennen; die Wissen- 
schaft lehrt  in den Erzeugnissen der Natur und der Geschichte  
die Formen finden, welche zu dessen Darstellung nöthig sind. Man be- 
müht sich, den Organismus des Naturlebens zu ergründen, seine Erschei- 
nungen wie im Spiegelbilde wiederzugeben; man erkennt das Vorbild, 
welches für solch ein Streben in den Werken der Antike gegeben, und 
wie in diesen das Gesetz der natürlichen Erscheinung bereits in grussen, 
höchst gültigen Zügen niedergelegt war.  
Eine Sinnesrichtung solcher Art musste, im Allgemeinen wenigstens, 
als der völlige Gegensatz dessen erscheinen, was in der Kunst des Mit- 
telalters erstrebt und in der letzten Entwickelungsperiode desselben, in 
der des gothiSßhßn Sfyles, auf so grossartig bedeutsame Weise erreicht 
war. An die Stelle jener schwärmerischen Sehnsucht, welche die kör- 
perliche Form so viel als möglich zu vergeistigen strebte, trat jetzt ein 
gewisser Realismus, welcher das körperliche Leben in seiner Selbständig! 
keit durchzubilden bemüht war; statt der Gemeinsamkeit des Getühles, 
Welches die künstlerischen Leistungen erfüllt, welches mehr dasGanze, und. 
das Einzelne vorzugsweise nur in seinem Bezuge zum Ganzen berücksichtigt,
	        
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