Volltext: Handbuch der Kunstgeschichte (Bd. 2)

Vierte Periode. 
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schlingungen des Stabwerks, die oft wirr gehäufte Flächendekoration, die 
spielende Mannigfaltigkeit der Gewölbanlage. Daher die wunderliche, 
mehr der Bizarrerie als dem organischen Gesetz entsprungenen Combina- 
tionen der Fensterfüllungen, die rundlich geschweiften Formen der Fisch- 
blase u. s. w.; daher selbst an den Oeßnuilgen der Fenster und Thüren 
die geschweiften, überschlanken oder gedrückten Spitzbögen, die „Ese1s- 
rücken", Kiel- und Tudorbögen und Andres; daher auf der einen Seite 
ornamentale Ueberladlmg, auf der andern Nüchternheit und Monotonie. 
Und so musste endlich, nachdem die Construction und die Dekoration 
ihre strenge Verbindung gelöst und jede ihre eignen Wege eingeschlagen 
hatten, ein Willkürliches Gombiniren, ein Haschen nach neuen, pikanten 
Effekten, ein Uebertreiben des einfach Malerischen, andrerseits eine hand- 
werksmässige Nüchternheit, eine frostige mechanische Handhabung der 
Technik einreissen, welche die Auflösung der Gothik herbeiführten. Der 
Schluss der gothischen Epoche wird durch das Auftreten der Antike in 
der Renaissance bedingt, fallt demnach in den verschiedenen Ländern in 
verschiedene Zeit: für Italien bezeichnet die Mitte des 15. Jahrhunderts 
die Gränze; für den Norden lässt sich die Mitte des 16. Jahrhunderts 
im Allgemeinen als den Zeitpunkt des Ablebens der Gothik bezeichnen. 
Vorher nimmt sie indess oft mancherlei antikisirende Elemente in ihren 
dekorativen Formenkanon auf. 
Deutsvchland. 
Die Gothik der Spätepoche ist in Deutschland durch eine grosse An- 
zahl von Werken vertreten, die überwiegend einen nüchternen Charakter 
haben, meistentheils das Hallenschema aufnehmen und sich in der Regel 
nur durch weiträumige Anlage, durch Einzelheiten einer reichern Aus- 
stattung und manchmal besonders durch gewaltige Thurmanlagen aus- 
zeichnen. 
Am Niederrhein sind es meistens spätere Theile älterer Bauwerke, 
die dieser Zeit ihre Entstehung verdanken. Sie wurden der Mehrzahl 
nach am Ende der vorigen Epoche schon aufgeführt. Ein Bau von schlich- 
ter Strenge ist die Stiftskirche zu Oberwesel, aus der Frühzeit des 
15. Jahrhunderts, mit hineingezogenen Strebepfeilern; die Fagade durch 
schlanken Thllrnl ausgezeichnet. In ähnlich nüchterner Behandlungsweise 
St. Martin ebendaselbst und die Pfarrkirche zu Bingen.  In dem 
Distrikt von Trier wird der Hallenbau vorzugsweise geübt. S0 das Lang- 
113,115 der Kirche von St. Wendel mit etwas erhöhtem Mittelschiff; die 
Kirche V01! Meißellheim, seit 1479 erbaut, deren Facade einen Thurm 
mit schlanker zierlich durchbrochener Steinspitze hat; die Kirchen von 
Meyen, Simmern, Sobernheim, die Schwanenkirche bei Forst, bei 
geringen VGThäIiCDiSSGIIdVäIL ansprechender Ausbildung; die Kirchen von 
Treis, Beilstein un ermendi an der M0sel' der Schiffbau der 
Stiftskirche von St. Goar, 1441-69 äron ansehnlichen Verhältnissen; die 
Kirchen zu Rheinbach und Unkel (1502).  
Daran schliessen sich mehrere, mit nur einem Seitenschiif versehene,
	        
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