Vierte Periode.
183
schlingungen des Stabwerks, die oft wirr gehäufte Flächendekoration, die
spielende Mannigfaltigkeit der Gewölbanlage. Daher die wunderliche,
mehr der Bizarrerie als dem organischen Gesetz entsprungenen Combina-
tionen der Fensterfüllungen, die rundlich geschweiften Formen der Fisch-
blase u. s. w.; daher selbst an den Oeßnuilgen der Fenster und Thüren
die geschweiften, überschlanken oder gedrückten Spitzbögen, die „Ese1s-
rücken", Kiel- und Tudorbögen und Andres; daher auf der einen Seite
ornamentale Ueberladlmg, auf der andern Nüchternheit und Monotonie.
Und so musste endlich, nachdem die Construction und die Dekoration
ihre strenge Verbindung gelöst und jede ihre eignen Wege eingeschlagen
hatten, ein Willkürliches Gombiniren, ein Haschen nach neuen, pikanten
Effekten, ein Uebertreiben des einfach Malerischen, andrerseits eine hand-
werksmässige Nüchternheit, eine frostige mechanische Handhabung der
Technik einreissen, welche die Auflösung der Gothik herbeiführten. Der
Schluss der gothischen Epoche wird durch das Auftreten der Antike in
der Renaissance bedingt, fallt demnach in den verschiedenen Ländern in
verschiedene Zeit: für Italien bezeichnet die Mitte des 15. Jahrhunderts
die Gränze; für den Norden lässt sich die Mitte des 16. Jahrhunderts
im Allgemeinen als den Zeitpunkt des Ablebens der Gothik bezeichnen.
Vorher nimmt sie indess oft mancherlei antikisirende Elemente in ihren
dekorativen Formenkanon auf.
Deutsvchland.
Die Gothik der Spätepoche ist in Deutschland durch eine grosse An-
zahl von Werken vertreten, die überwiegend einen nüchternen Charakter
haben, meistentheils das Hallenschema aufnehmen und sich in der Regel
nur durch weiträumige Anlage, durch Einzelheiten einer reichern Aus-
stattung und manchmal besonders durch gewaltige Thurmanlagen aus-
zeichnen.
Am Niederrhein sind es meistens spätere Theile älterer Bauwerke,
die dieser Zeit ihre Entstehung verdanken. Sie wurden der Mehrzahl
nach am Ende der vorigen Epoche schon aufgeführt. Ein Bau von schlich-
ter Strenge ist die Stiftskirche zu Oberwesel, aus der Frühzeit des
15. Jahrhunderts, mit hineingezogenen Strebepfeilern; die Fagade durch
schlanken Thllrnl ausgezeichnet. In ähnlich nüchterner Behandlungsweise
St. Martin ebendaselbst und die Pfarrkirche zu Bingen. In dem
Distrikt von Trier wird der Hallenbau vorzugsweise geübt. S0 das Lang-
113,115 der Kirche von St. Wendel mit etwas erhöhtem Mittelschiff; die
Kirche V01! Meißellheim, seit 1479 erbaut, deren Facade einen Thurm
mit schlanker zierlich durchbrochener Steinspitze hat; die Kirchen von
Meyen, Simmern, Sobernheim, die Schwanenkirche bei Forst, bei
geringen VGThäIiCDiSSGIIdVäIL ansprechender Ausbildung; die Kirchen von
Treis, Beilstein un ermendi an der M0sel' der Schiffbau der
Stiftskirche von St. Goar, 1441-69 äron ansehnlichen Verhältnissen; die
Kirchen zu Rheinbach und Unkel (1502).
Daran schliessen sich mehrere, mit nur einem Seitenschiif versehene,