Volltext: Handbuch der Kunstgeschichte (Bd. 2)

Periode. 
Dritte 
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dieser Zeit besonders am Seitenportal des Domes von Rouen' etc. Man 
will in der französischen Kirchensculptur des 14. Jahrhunderts bereits eine 
Abnahme der Naivetät, und etwas Gesuchtes in den Gewandmotiven er- 
kennen. 2 
Im Ganzen vielleicht das wichtigste Denkmal dieser Periode sind die 
(nur zur Hälfte vorhandenen und stark ergänzten) Reliefs der Ohoreinfas- 
sung von Notre-Dame zu Paris, 3 mit der Geschichte Christi in jetzt noch 
24 Feldern, das Werk des Jehan Ravy und seines Neffen Jehan le 
Bouteiller, vollendet 1351, alles ehemals reich bemalt und vergoldet. 
Der vermuthlich vom Oheim gearbeitete Theil bietet eines der wenigen 
Beispiele eines grosscn, fast ohne Unterbrechung fortlaufenden Hochreliefs 
dar; in den spätern Theilen sind die Felder durch Stabwerk eingefasst. 
Der Styl, in verschiedenen Nuancen, ist von einer gleichmässigen monu- 
mentalen Würde, Ruhe und Schönheit.  Grabstatlzen dieser Periode sind 
in grosser Fülle vorhandenf eine vorzüglich schöne in St. Denis. 
Eine besondere Gattung von Sculpturwerken, bisher meist einer ein- 
fachen, ländlichen Behandlung überlassen, gewinnt in dieser Zeit eine 
höhere Ausbildung in einer bestimmten Provinz. Die Steinkreuze an den 
Landstrassen, deren z. B. König Ludwig der Dicke (1108-37) eine Menge 
hatte aufrichten lassen, 5 werden fortan in der Bretagne mit oft sehr 
zahlreichen Figuren beladen, selbst zu ganzen Oalvarienbergen von lau- 
ter Sculpturen erweitert. Das reichste Werk dieser Art möchte das Kreuz 
von Plougastel seinß (Die meisten stammen erst aus dem 15. und 16. 
Jahrhundert.)  
Während der tiefen Zerrüttung Frankreichs seit der Mitte des 14. 
Jahrhunderts beginnt das Grenzland Flandern durch Handel und Ge- 
werbe alle Gegenden nördlich von den Alpen an Reichthum zu überflü- 
geln. Gegen Ende des Jahrhunderts in den wachsenden burgundischen 
Ländercomplex aufgenommen, wird es dessen Hauptland. 
Zwar das Baumaterial der Kirchen, welches insgemein im Norden 
auch das der daran angebrachten Sculpturen war, erwies sich den letz- 
tern hier durchaus nicht günstig. Allein die Mittel gestatteten es, bes- 
sere Steine für dieselben zu bestimmten Einzelzwecken kommen zu lassen. 
Eine Anzahl belgischer Sculpturen seit der Mitte des 14. Jahrhunderts 
offenbaren nun einen so ganz eigenthümlich ausgebildeten Styl, dass sie 
eine wichtige Vorstufe der realistischen Darstellungsweise des 15. Jahr- 
hunderts heisscn können, ja vielleicht selbst der nächste Ausgangspunkt 
und die Vorbilder für den Styl der van Eyckls gewesen sind, so wie sie 
andererseits mit der alten Kunstübnng in den liletallwerkstättexl von Dinant 
u. s. w. zusammenhängen mögen.  Es sind dies eine Anzahl von Grab- 
1 Chapuy, moy- ägß münumental Nro. 84.  2 De Caumont, Abecödaire, 
p. 469.  3 Gailhabaud, Denkmäler der Baukunst, Bd. IIL; vgl. Schnaase, Kunst- 
geschichte VI, S. 549 ff.  Ein vorzüglich schönes llfadonnenrelief aus derselben 
Kirche bei Chapuy, mßy- äge monumental, Nr. 95.  4 Einige einfach tüchtige 
Beispiele bei De Oaumont, a. a. 0., p. 488 u. f.  5 Sugerii wita Lud. grüßßi, 
bei Duchesue, IV, p. 313.  6 Voyages pitt. ct romanf. V01. I.  De Caummlt- 
Abecedaire, p. 550 u. f.  
Kngler, Handbuch der Kunstgeschichte. Il. 9
	        
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