Volltext: Handbuch der Kunstgeschichte (Bd. 2)

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Die Kunst des gothischen 
Styles. 
durchgängig festgehalten als Oontrast zu den reinen Verticalen der Nischen 
und Baldachinsäulen; ganz besonders bezeichnend aber ist die Umgestal- 
tung der Draperie, welche statt der feinen, zahlreichen, oft wie nach den 
Massen modellirten Falten des 13. Jahrhunderts jetzt meist grosse, ein- 
fache Partien zeigt, wie sie zu der Gesammterscheinung am Bauwerk in 
der That eher passen mögen. In den Köpfen herrscht vielleicht mehr 
Einförmigkeit und (wie in allem Uebrigen) mehr Steinmetzenmanier, wäh- 
rend im 13. Jahrhundert sich durchschnittlich öfter die Theilnahme des 
durchgebildeten Künstlers verräth; die wenigen nackten Gestalten (Adam 
und Eva) zeigen bisweilen einen ganz naiven Naturalismus der Auffas- 
sung bei einer noch sehr unentwickelten Durchführung. 
Ausser den am Gebäude (Portalen, Nischen, Pfeilern etc.) haftenden 
Sculpturen ist als eine grosse, wenn nicht neue, doch erst in Beispielen 
aus dieser Zeit nachweisbare Gattung zu erwähnen: der Schmuck der 
Choreinfassungen nach aussen gegen den Ohorumgang hin; hochwichtig 
für die Ausbildung des Reliefs, wenn nur derAnlass häuüger gewesen wäre. 
Die Grabstatuen, früher meist nur Verstorbenen des höchsten Ranges 
gewidmet, werden allmälig Sache der höhern Stände überhaupt. Die 
Costümtreue giebt ihnen noch einen besondern Werth, der nicht selten 
den Kunstwerth übertrifft. Die Platte erscheint bald als Deckel eines 
frei Stehenden, rings mit Reliefs verzierten oder auch eines in einer (aus- 
gemalten) Nische stehenden Sarkophagcs, bald hohl auf Stützen liegend, 
bald unmittelbar in den Boden oder stehend in die Wand eingelassen, 
anderer Combinationen nicht zu gedenken. Die Haltung ist in der Regel 
die eines Betenden oder die eines ausgestreckten Todten mit gekreuzten 
Armen, noch nie die eines Schlafenden. 
Wie die einzelnenSchmucktheilei profaner Gebäude, wie auch die 
Denk- und Grenzsteine, die Stadtbrunnen etc. reine Anleihen von der 
kirchlichen Baukunst sind, so sind auch ihre Sculpturen den kirchlichen 
völlig homogen. Beide Künste werden zu solchen Zwecken im 14. Jaln- 
hundert reichlich und mit grosser monumentaler Absicht in Anspruch ge- 
nommen.  
Von den Arbeiten in Metall und Elfenbein wird am Schlusse dieser 
Periode das Nöthige beigebracht Werden. 
Italien, dessen Kunst, obwohl noch innerhalb des gothischen Styles, 
einen wesentlich abweichenden Weg geht, wird eine besondere einleitende 
Betrachtung erfordern. 
Frankreich, 
Belgien und 
England. 
Die Kathedralsculpturen waren grossentheils schon in der mächtigen 
Bauperiode des 13. Jahrhunderts mit oder bald nach den Bauten selbst 
vollendet worden und die dem 14. Jahrhundert mit Bestimmtheit ange- 
hörenden treten der Masse nach sehr zurück. Eine geschmackvolle Wei- 
terbildimg des Styles der vorigen Periode zeigt sich z. B. am P0rtal' der 
1349 erbauten Kapelle St. Piat am Dom von Chartres. Anderes aus 
1 Willemin, monumens franqais inäditsn, 
121.
	        
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