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III.
Das Alterthum
des mittleren Asiens.
die Gründe der Darstellungen sind weit gestreckt, zuweilen in mehrfacher
Reihe übereinander; die verschieden bewegten Gestalten und Gruppen
sind gelegentlich mit einer gewissen künstlerischen Unbefangenheit gegen-
einander geschoben. Bei mässigerem Inhalte gestalten sich durch solches
Verfahren nicht selten ganz anziehende und charaktervolle Scenen; bei
umfassenden Darstellungen, z. B. grossen Kriegsbegebenheiten, bringt da-
gegen der Mangel an höherer plastischer Haltung und die Unmöglichkeit,
mit solchen Mitteln irgend eine Art malerischer Ooncentration zu erreichen,
wiederum nur ein erhebliches Wirrniss hervor.
In der ägyptischen Kunst ist mehr Stylgefühl, in der assyrischen mehr
Lebensgefühl. Dies letztere zeigt sich auch in der Bildung phantastischer
Gestalten, bei denen Thierisches und Menschliches sich vereinigt. Gewisse
dämonische oder symbolische Gestalten tragen über dem menschlichen
Leibe einen Thierkopf; am Häufigsten kommen solche vor, die einen
Adlerkopf tragen. Hiebei ist wenigstens der Uebergang der Formen schon
mit ungleich grösserer Energie vermittelt, als in ähnlichen Fällen bei den
Aegyptern. Geilügelte Gestalten, menschliche und andre, kommen häufig
vor. Vorzüglich bedeutend sind jene kolossalen bildnerischen Gestalten,
welche die Haupteingänge der einzelnen Lokalitäten auszeichnen, geflügelte
Stiere oder Löwen, die ein menschliches Haupt tragen, (zuweilen auch
einfache Löwengestalten), in starkem Relief auf den Seitenwandungen der
Thür ausgemeisselt und an der Vorderseite frei vortretend. Mit der ge-
waltigen thierischen Energie, welche sich in der festen Gesammterschei-
nung ebenso wie in der eisernen Muskulatur ausspricht und durch die
breiten Schwingen noch mehr gehoben erscheint, steht die freie Majestät
des menschlichen Hauptes hier im trefflichsten Einklange. Diese Bil-
dungen sind olme Zweifel die eigenthümlichsten, grossartigsten und wirk-
samsten der gesammten assyrischen Kunst.
In einzelnen Resten haben sich auf Wänden der ninivitischen Denk-
mäler statt der Reliefs auch ltlalereien vorgefunden, d. h. einfach colorirte
Umrisszeichnungen, bei denen ein feines Gefühl für die Umrisslinie nicht
zu verkennen ist.
Die Stylunterschiede in der bildenden Kunst der Assyrer scheinen
sich dahin zu beschränken, dass die Werke der älteren Epochen eine grössere