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Die Kunst des romanischen Styles.
Zur Seite solcher Leistungen entwickelt sich sodann die Thätigkeit
eines Meisters von höchster individueller Begabung, der die Kunst wieder-
um, gleich den Meistern der sächsischen Schule, bis zur Schwelle der
Vollendung führt: die des Nicola Pisano, geboren um 1204. Ueber
seine Entwickelung liegt nichts vor; an Werken seiner Hand, die seiner
vollen, erst im gereiften Mannesalter eintretenden Ausbildung vorange-
gangen, ist kaum Etwas mit Sicherheit nachzuweisen. Seine meteorgleiche
Erscheinung dürfte nur durch die Voraussetzung eines Anschlusses an
die Leistungen der sächsischen Schule zu erklären sein; die mehrfach
wiederholte Erwähnung deutscher Bildhauer, welche in der Epoche des
13. Jahrhunderts in Italien thätig waren, und von denen eine derartige
Vermittelung ausgehen konnte, mehrfach vorkommende Anklänge in Mo-
tiven der Composition und der Behandlung an die Meisterwerke der säch-
sischen Schule, die sich in seinen Werken finden, scheinen solcher Vor-
aussetzung in der That einige Bestätigung zu geben. Als eine frühere
Arbeit dieses Meisters, angeblich vom J. 1233, bezeichnet man das Relief
einer Kreuzabnahme im Halbrund über der linken Thür der Vorhalle des
Domes von Lucca. 1 Noch schwer in der Fassung und befangen in Ein-
zelheiten der Formenbildung zeichnet sich dieses Werk schon durch die
gediegene Ausfüllung des
(q, . Raumes, durch die sinnvolle
Entwickelung der patheti-
f? sehen Momente der Hand-
J (i i lung, durch treiiliche Anlage
2 J der reichen G-ewandungen
j ä vor allem Gleichzeitigen der
(K P f italienischen Kunst aus; bei
einer entschieden ausgespro-
I i "A chenen künstlerischen Indi-
i vidualität ist das Allgemeine
äx ä der Richtung (auch das Ein-
1 Q - zelne in der Anordnung der
i, Gewänder)jenen sächsischen
Arbeiten sehr wohl vergleich-
Aufersteheude, aus dem Relief des jüngsten Gerichts an bar. Ein bedeutender Zeit-
der Kanzel dleyäsglaäctisägäigpiäiäggfäplt) Von NICOISI. raum Scheidet dies Werk von
dem ersten sicher beglaubig-
ten des Meisters: der im J. 1260 vollendeten Kanzel des Baptisteriums
von Pisaß Die Kanzel bildet, den alten Ambonen ähnlich, ein von
Säulen und Bögen getragenes Gerüst; wobei zu bemerken, dass in den
architektonischen Theilen schon Elemente der nordischen Gothik aufge-
nommen, gleichwohl (in Uebereinstimmung mit dem Charakter der Sculp-
turen) in einen antikisirenden Typus umgewandelt sind. Ueber den Säulen
und Bögen sind allegorische Gestalten und die Bilder von Propheten und
1 E. Förster, Beiträge zur neuern Kunstgeschichte, t. 1
storia della scultura, t. 12, 14-16. Düägincourt, Sculptur,
mäler der Kunst, T. 48
2 Cieognara,
(71 9). Denk-