Zweite Blüthenepoche
des alten Reiches.
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Von runden Sculpturen der Frühepoche ägyptischer Kunst sind nur
wenige Beispiele bekannt; sie tragen dasselbe Gepräge naiver Lebensauf-
fassung. Eine nicht grosse Granitfigur, in kauernder Stellung, die sich
im Berliner Museum befindet, ist ebenso durch die sehr genaue Bearbei-
tung des schwierigen Materials, wie durch die schlichte Derbheit der Form
bemerkenswerth; das Gesicht ist völlig portraitartig. Sie wurde unter
dem Thürfundament eines der ältesten Gräber gefunden, scheint also die
schon in einer vorangegangenen Epoche erreichte Stufe künstlerischer
Ausbildung zu bezeichnen. Einige andre Beispiele sind im Museum des
Louvre zu Paris.
Zweite
Blüthenepoche
des
alten
Reiches.
Architektonisches.
Aus der zweiten Blüthenepoche des alten ägyptischen Reiches, der
der zwölften Dynastie, haben sich die Reste einer weiter vorgesehrittenen
künstlerischen Entwickelung erhalten.
Der Gründer dieser Dynastie war Sesurtesen I. (0sortasen). Von
ihm linden sich einige mächtige Denkpfeiler, welche die Stätte grosser
baulicher Unternehmungen zu bezeichnen scheinen. Unter diesen zeichnet
sich ein zu Heliopolis in Unterägypten (bei dem heutigen Matarieh)
noch aufrecht stehender Obelisk aus, einer Monumentalform angehörig,
welche wiederum die urthümlichste Gestaltung (die des Menhirs) in streng ge-
messene geometrische Form umgewandelt zeigt, vierseitig, nach oben sich
verjüngend lmd mit pyramidal gespitztem Schluss, und die für die ganze
Folgezeit der ägyptischen Kunst von Bedeutung bleibt. Ein zweiter, etwas
freier behandelter Denkpfeiler desselben Herrschers findet sich in der Land-
schaft des Fayum, westwärts von Mittelägypten, bei dem Orte Begig
zerbrochen liegend. In Oberägypten gründete Sesurtesen I. den Haupt-
tempel von Theben (zu Karnak), von welcher ursprünglichsten Anlage
dieses Heiligthums noch einzelne Reste, namentlich aehteekige Säulen,
vorhanden sind.
Sodann gehören der Zeit der zwölften Dynastie einzelne, in Mittel-
ägypten zerstreut vorkommende Pyramiden an; vornehmlich aber, wie es
scheint, die erste umfassende Ausbildung des grossen Wasserbausystems,
welches die Niliiut regelte und dadurch die Befruchtung des Landes
sicherte, namentlich die Anlage des sogenannten Mörissee's im Faylnn,
eines kolossalen Reservoirs, welches die gestiegene Flut, zur Benutzung
derselben während der trockenen Jahreszeit, zurückbehielt.
Ferner eine Anzahl von Felsgräbern, welche als Grottenanlagen in
dem Gebirgszuge an der Westseite von Mittelägypten ausgeführt wurden.
Bei Weitem die merkwürdigsten von diesen, Zeugnisse eines charakteri-
stisch ausgebildeten Säulenbaues enthaltend, sind die Gräber von Beni-
hassan. Sie bestehen insgemein aus einem inneren Raume, dessen Decke
von Säulen gestützt wird, und einem oifnen Säulenportikus an der Aussen-
seite. Die Säule hat in diesen Gräbern zwei verschiedene Formen, jede
Kugler, Handbuch der Kunstgeschichte. I. 3