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des romanischen
Die Kunst
Styles.
minder dieselben Motive auf; aber jener Zug eigenthümlicher Grösse ver-
schwindet mehr und mehr, und ein seltsam manieristisches Wesen, zu-
verschrobenen, verzwickten, krüppelhaften Bildungen geneigt, mehrfach
zu einer unbegreiflichen Verzerrung gesteigert, durch die sanfte Farben-
stimmlmg, den zierlichen Vortrag des Pinsels, die geschmackvolle Orna--
mentik in den Beiwerken doppelt auffällig, tritt an ihre Stelle. Doch
leuchtet durch das Unwesen der formalen Affassung, in veränderter, mehr
gedanklicher Richtung, wiederum ein neues Element von Grössc hervor.
Ein Missale (oben, S. 401) hat ein Bild des stehenden Kaisers; über ihm
der Erlöser in der Glorie, der ihm die Krone aufsetzt; zu dessen Seiten
zwei in lebhafter Bewegung niederschwebende Engel, welche ihm die
heilige Lampe und das Reichsschwert bringen, indem er diese Reliquien
mit ausgebreiteten Armen, die durch zwei heilige Geistliche gestützt.
werden, empfängt. In einem der Evangeliarien ist vorn der. thronender
Kaiser dargestellt, von Kriegern und Geistlichen umgeben, und ihm ge-
genüber vier geneigte weibliche Gestalten, welche ihm Gaben darbringen
und inschriftlich als die Personificationen der Lande seiner Herrschaft,
Roma, Gallia, Germania, Sclavinia, bezeichnet sind. Ein anderes Evan-
geliarium zeigt den triumphirenden Erlöser vor dem Baume des Lebens
und um ihn her, in wunderbarer Glorie, die elementarischen Symbole und
die von den Wassern des Paradieses getragenen der Evangelisten; wäh-
rend die darauf folgenden Bilder der letzteren zu den über ihnen befind-
lichen Symbolen und Zeichen in sinnreiche Beziehung gesetzt sind, Mar
cus z. B. in einer Art begeisterten Staunens zu der Figur des auferste-
henden Erlösers aufbliekt, den eine Inschrift als "starken Löwen" dem
Löwensymbol des Evangelisten parallel stellt. U. s. w.
Trotz ihrer umfangreichen Thätigkeit scheint diese Schule eine län-
gere Dauer nicht gehabt zu haben. Wie in ihr mannigfach bewegte Ge-
danken zur Erscheinung kommen, so mochte sie immerhin für geistige
Anregung gewirkt haben; an sich war ihre Aufgabe ohne Zweifel eine
begrenzte, von besonderer fürstlicher Gunst und Geschmacksrichtung ab-
hängig, während aus ihrer entarteten Darstellungsweise eine neue Ent-
wickelung nicht herausgebildet werden konnte. Sie ist mehr zur Bezeich-
nung des Ueberganges aus den Richtungen des zehnten Jahrhunderts in
die des 11., als für das eigenthümliche künstlerische Streben des letzteren
von Bedeutung. Eine grosse Anschauung dieses Strebens gewähren frei-
lich auch die übrigen erhaltenen Werke der deutschen Miniaturmalerei
nicht; Arbeiten, die eine nähere Verwandtschaft mit jenen merkwürdig
antikisirenden Elementen in den Fächern der Sculptur bekundeten, sind
bis jetzt nicht bekannt geworden. Vielmehr erscheint im Uebrigen nur
eine schlichte Strenge, ein einfach typischer Charakter, wie er der Epoche
künstlerischer Anfänge wohl ansteht, als vorherrschend, Dass dieselbe
sich schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts ausgeprägt, scheint
u. A. ein dem Abte Ellingßr von Tegernsee, einem-in der künstlerischen
Ausstattung jenes Klosters vielfach thätigen Manne, zugeschriebenes Evan
geliarium in der Bibliothek von München zu erweisen.
Die Arbeiten der französischen Miniaturmalerei dieser Epoche
sind an Zahl und künstlerischem Vermögen wenig bedeutend, zum Theil