Volltext: Handbuch der Kunstgeschichte (Bd. 1)

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Die Kunst des romanischen 
Styles. 
Evangelisten, die auf einzelnen Blättern das Buch eröffnen, haben trotz- 
dem ein Gepräge erhabener Grösse, während die Linien der Gewandung 
in weichem Flusse geführt sind; die Malerei bekundet überall die grösste 
Sorgfalt, und ein in zarten Regenbogenfarben gehaltenes Schillern .der 
Gründe gewährt einen fast phantasmagorischen Reiz.  Verwandte Rich- 
tung bei nicht minder prachtvoller Ausführung zeigen noch andre, auf 
Veranlassung Kaiser Otto's II. gefertigte Evangeliarien, namentlich ein 
aus der Abtei von Echternach stammendes in der Bibliothek von Gotha 
(s. oben), und ein zweites in der Bibliothek von Paris; ein drittes, wel- 
ches der Kaiser dem Dome von Magdeburg geschenkt hatte, ist ver- 
loren.  Aehnlich auch ein von Otto III. an den Dom zu Aachen ge- 
schenktes Evangeliarium, gegenwärtig im Besitze des Canonicus von Ors- 
bach. 1  Von der Nachfolge dieser Richtung der Miniaturmalerei im 
elften Jahrhundert wird später die Rede sein.  
Dann sind im Fache der Miniaturmalerei auch Beispiele der künstle- 
rischen Thätigkeit _der andern Nationen des Ooeidents vorhanden; diese 
aber sind für das zehnte Jahrhundert durchweg so an Zahl wie an Be- 
deutung ungleich geringer. Die französischen wie die englischen 
Arbeiten dieser Zeit zeigen eine völlig verderbte Fortsetzung der älteren 
Manieren, (S. 254  und wenn ein für den Bischof Ethelwold von Win- 
chester zwischen 970 und 984 gefertigtes Benedictionale (zu Chatsworth, 
im Besitz des Herzogs von Devonshire) 2 in der Farbenbehandlung eine 
merkwürdige Annäherung an die zuletzt besprochenen deutschen Arbeiten 
erkennen lässt, auch die Randverzierungen geschmackvoll antikisirende 
Reminiscenzen zeigen, so sind gleichwohl die Figuren in äusserst barba- 
rischen Missformen gezeichnet.  Ein in Italien gefertigtes Evangelia- 
rium, in der Bibliothek von Paris, hat dagegen in seinen Gestalten 
wiederum würdigere Grundmotive und ist selbst durch einige Züge selb- 
ständiger Auffassung beachtenswerth.   
Zweite 
Perio 
Nach den Uebergängen, den Versuchen und Einleitungen, welche 
die künstlerischen Bestrebungen des zehnten Jahrhunderts charakterisiren, 
erscheint das elfte Jahrhundert als die Zeit der ersten selbständig gross- 
artigen Entfaltung der Kunst des romanischen Styles. Auch in dieser 
Epoche geht Deutschland den übrigen Landen voran; es sind die Erfolge 
jener glorreichen Tage des sächsischen Kaiserhauses, welche nunmehr, 
trotz mancher Ungunst äusserer Verhältnisse, für das Culturleben zur 
vollen und starken Frucht reifen. Was bei den andern Nationen ge- 
schieht, hat nicht dieselbe umfassende xBedeutung; doch bahnen sich auch 
bei ihnen, zumal in den späteren Decennien des Jahrhunderts, bedeutende 
und eigenthümliehe Entwiekelungen an. Die Belebung und Umbildung 
des 
1 v.' Hefner, Trachten 
liogr. decameron, p. LIV. 
christl. Mittelalters, I, 
Dibdin bib-
	        
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