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muhammedanische Kunst etc.
Die
sich unsinnliche, nur zu dem Geiste des Beschauers sprechend. Die
Schrift will, ihrem wesentlichen Zwecke nach, nicht formal wirken; sie
hat vorherrschend (zumeist aus Koransprüchen bestehend) nur eine stete
Erneuung der Gesetzesworte zur Aufgabe; aber sie hat dennoch ihre
formale Seite. Sie ordnet sich, in mannigfach verschiedener Behandlung,
den Ornament-Oompositionen ein; sie wird, auch in der materiellen Ver-
wendung, der Kern, der Lichtpunkt für die Bewegungen der letzteren.
Zwar hat auch dies Ornament, seinem künstlerischen Princip nach,
nur einen engen Kreis, ist es durch dasselbe Gesetz beschränkt, welches
die lebendigere Entfaltung des architektonischen Werkes hemmt. Ohne
Verbindung mit figürlichen Gebilden, mit gegliederten Architekturformen
ist es auf schematische Combinationen eingeschränkt, ermangelt es gleich-
zeitig des Vermögens, sich in selbständiger Kraft, in plastischer Wirkung
geltend zu machen. Es ist an die Masse gebunden, ist nur Schmuck
der äusseren Fläche derselben und bildet sich in diesem seinem Flächen-
Charakter immer entschiedner aus, jemehr sich die muhammedanische
Kunst von den traditionell überkommenen (mehr plastischen) Formen der
älteren Architektin frei macht. Je eingeschränkter aber auch in dieser
Beziehung das Feld der künstlerischen Thätigkeit ist, um so eifriger
wiederum ergreift die Phantasie alle, wenigstens hierin dargebotenen
Mittel, um so rastloser ist sie in der Erfindung stets neuer Combinatio-
nen, um so emsiger nimmt sie jede Gelegenheit wahr, sich in glänzender
Weise zu bethätigen. Die Ornamentik gewinnt allmählig eine so ent-
scheidende Gewalt über das architektonische Ganze, dass dasselbe sich,
im Aufbau, nach ihren Bedingnissen fügt, dass es häufig nur angewandt
erscheint, um ihren Gebilden eine feste Grundlage zu geben; dabei dient
eine klare rhythmische Anordnung, welche die Theile der architektoni-
schen Masse und die Theile ihrer ornamentistischen Ausstattung sondert,
gewissermaassen wiederum zum Ersatz der unausgebildeten eigentlich
architektonischen Organisation. Das Gesetz der Ornamentik, im umfas-
sendsten Sinne, wird zum Bedingniss der muhammedanischen Kunst,
diese, was ihre künstlerische Bedeutung anbelangt, eine ausschliesslich
oder vorwiegend dekorative. Darin aber vollendet sich in der That die
unmittelbare Vereinigung der Gegensätze, welche ihre ursprüngliche
Grundlage ausmachen. Die ornamentale Gestaltung folgt allen Bewe--
gungen auch der erregtesten Phantasie (schliesst zugleich auch, in den
Inschriften, die gehaltreiche Fülle des Gedankens ein) und ist doch streng
an die Masse und deren Gesetze gebunden; sie ist zu jedem Wechsel
befähigt und sieht sich überall, in der Einzelform wie in der Austheilung,
auf das maassvollste Verhältniss zurückgeführt; sie bannt die individua-
lisirende Form, nach welcher die Uebergewalt der Phantasie drängt, in
die unabänderlich feste Regel der architektonischen Gestaltung. Die
muhammedanische Kunst hat allen Reichthum, allen Reiz und freilich
auch alle Eintönigkeit des einseitig Ornamentalen.
Die Ausbildung dieser Kunst hat ihren historischen Stufengang, eine
namhafte Reihe von Jahrhunderten hindurch, im Anschluss an die wech-
selvollen Geschicke, von denen die muhammedanische Welt bewegt wurde..
Sie beginnt, wie bereits angedeutet, mit dem Materiale vorliegender