Volltext: Handbuch der Kunstgeschichte (Bd. 1)

Erste Periode. 
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Nacht, der Flüsse, Berge u. s. w. (deren mythisch individuelle Kraft 
längst erloschen war) mit in die christliche Darstellung herüber, genom- 
men zu sehen. Ja, eine eigenthümliche Verknüpfung von Umständen 
führte sogar dazu, für Christus selbst in einzelnen Fällen, ausser den 
Darstellungen des guten Hirten und den genienartigen Bildern, eine un-_ 
mittelbar der alten Mythe angehörige Gestalt zur Anwendung zu bringen: 
die des Orpheus, welcher die Thiere des Waldes an sich lockt. Natür- 
lich galt auch bei dieser derselbe symbolisirende Bezug, wie bei den 
übrigen Darstellungen. 
Insolcher Art war eine Fülle bildlicher Scenen gewonnen, deren äussere 
Momente, deren meM oder weniger dramatische Belebung doch in der That an 
die Grenzen bildlich realer Vergegenwärtigung (je nach dem Maasse der noch 
vorhandenen künstlerischen Befähigung) führte. Es konnte nicht fehlen, dass 
auch zu solcher Vergegenwärtigung im Einzelnen schon zeitig Versuche 
eintraten, zumal wo die Umstände eine Art lebhafteren Einvernehmens 
mit dem übrigen künstlerischen Thun herbeiführten. So liess, wie uns 
berichtet wird, schon in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts der 
Kaiser Alexander Severus ein Standbild Christi anfertigen. Auch war 
bei jenen Scenen des neuen Bundes der Unterschied zwischen der idealen 
Personiücation und der unmittelbaren, persönlichen Darstellung des Er- 
lösers wohl kaum überall festzuhalten. Das Band löste sich, als die 
christliche Kirche zur Gleichberechtigung, als sie zur Herrschaft gekom- 
men war. Das Streben, ein persönliches Abbild Christi, mit einem An- 
hauch seines Geistes, zu gestalten, ihm den Kreis seiner heiligen Jünger 
anzureihen, fand allmählig Eingang und stets wachsende Verbreitung. 
Doch auch hiebei blieb die ursprüngliche künstlerische Stimmung, die 
Scheu vor dem Heiligen, auf geraume Zeit hin maassgebend. Man wagte 
diese Bildnissgestalten aus der Glorie der Verklärung in die Beschrän- 
kungen des sinnlichen Thuns nicht hcrabzuziehen; man erlaubte sich 
nur, sie in solchen Handlungen (z. B. der Scene der Taufe Christi, an 
bezüglicher Stätte) vorzuführen, deren symbolisches Gewicht wiederum 
über das Maass des Ereignisses selbst wesentlich hinausging. 
Die Sculptur kam für die christlichen Kunstzweclze nur in unter- 
geordnetem Maasse zur Anwendung; die reale Körperlichkeit ihrer Ge- 
bilde, zumal der völlig freistehenden, welche als ein lebhaftes Förderniss 
der dämonischen Kraft der heidnischen Kunst betrachtet werden mochte, 
war mit jener Scheu, die zunächst nur gcdankenhaft symbolische Andeu- 
tungen verstattete, zu wenig im Einklange. 
An freien Gebilden frühchristlicher Sculptur sind (ausser den _scl10n 
erwähnten Bildnissstatuen des Petrus und Hippolyt) kaum andre Beispiele 
zu nennen, als zwei kleine Marmorstatuen, beide den guten Hirten dar- 
stellend, der das verlorne Schaf trägt, im christlichen Museum des Va- 
tikans zu Rom. Die eine von ihnen, mässig roh gearbeitet und nicht 
ohne Ausdruck, steht der Weise antiker Kunst noch ziemlich nah; die 
andre, den raschen Verfall der Sculptur bekundend, zeigt schon eine 
geistlos starre Behandlung.
	        
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