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VII.
Die Kunst der römischen Epoche.
stehendß Es ist eine historische Composition, voll bewegten und ge-
drängten Lebens, in schlagender, dramatisch verknüpfter Entwickelung
des Vorganges, das Einzelne überall durchaus naiv und ohne Sorge um
stylistischr Vorbedingungen, obgleich bestimmt (z. B. die Köpfe der
Hauptpersonen) auf dem Grunde hellenischer Anschauungsweise gefasst;
ein Werk, welches das Wesen der ersten Epoche des römischen Kunst-
styles, hier in der Verbindung eines völlig unbefangenen Realismus mit
der hellenischen Abklärung der Form, wiederum auf höchst bezeichnende
Weise darlegt.
In Rom haben sich nur vereinzelte Reste von WVandmalereien, in
dem vorhin bezeichneten mehr dekorativen Charakter, erhalten. Eins der
gerühmtesten Stücke ist das schon erwähnte Gemälde der sogenannt
aldobrandinischen Hochzeit, im vatikanischen Museum (S. 154). Auf den
Resten eines antiken Gebäudes am Esquilin sind neuerlich landschaftliche
Bilder vorgefunden, die, bei ebenfalls flüchtig dekorativer Behandlung,
durch die grossartige Fassung und Stimmung sehr bemerkenswerth
erscheinen.
Zweße
Periode.
Mit der Regierung der Flavier (seit 69 n. Chr.), nach den tyran-
nischen Regierungen von Tiberius bis Nero, gewinnt der römische Kaiser-
staat eine neue, feste, seinen inneren Bedingnissen entsprechend geregelte
Gestalt. Mit diesem YVechsel hebt die zweite Periode der Kunst des
römischen Zeitalters an; dieselbe dauert bis gegen den Schluss des zwei-
ten Jahrhunderts, bis zur Zeit des Septimius Severus (seit 193), in welcher
für den inneren Charakter des Staates abermals neue und tiefgreifende
Wandlungen beginnen. Es ist die Epoche der zur vollen Selbständigkeit
und Eigenthümlichkeit ausgeprägten römischen Kunst. Die Zeit der
Flavier ist die ihrer ersten entscheidenden Entfaltung, die des Trajan
(98-117) die ihrer Blüthe. Dann, unter Hadrian (117-138) und Wesent-
lich durch diesen Kaiser veranlasst, macht sich allerdings ein nochmaliger
und sehr umfassender Versuch zur Wiederbelebung des hellenischen Ge-
schmackes geltend. Andauernd blieb dieser nicht; doch war damit die
innere Kraft jener eigentlich römischen Kunstrichtung gebrochen; die
Zeit des Nachfolger Hadrian's, der Antonine, lässt bereits die Unsicherheit
und Abschwächung der letzteren erkennen.
Architektur.
Die charakteristische Ausprägung der römischen Architektur wird zu-
nächst durch ein bauliches Denkmal von riesiger Grösse, das flavische
Amphitheater oder Colosseum zu Rom, gebaut v0'n Vespasian und
1 Nach dem Urtheil {von H. Weiss, dem Verfasser der Geschichte des Kostüms,
der sich hierüber im zweiten Bande seines Werkes näher aussprechen wird.