Erste Periode,
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fein berechneter Wirkung, aber diese berechnende Kunst bereits in einer
bühnenmässigen Weise zur Schau tragend. (Und zwar der Art, dass alle
Wirkung der Statue auf einen bestimmten Standpunkt des Beschauers
berechnet ist und von andern Standpunkten aus der wundersame Rhyth-
mus der Linien, selbst das Gesetz des organischen Gefüges, wesentlich
beeinträchtigt erscheint.) Die Gruppe des Laokoon im Vatikan, ein
gemeinschaftliches Werk dreier rhodischer Künstler, des Agesandros,
Polydoros und Athenodoros; Laokoon und seine beiden Söhne von
riesigen Schlangen urnwunden, ein Werk des gewaltigsten, durch seine
Abstufung und seine Wechselbezüge um so erschütternder wirkenden Pa-
thos, in jeder Beziehung mit vollendeter Meisterschaft durchgearbeitet,
aber in einer Weise der Composition, der Behandlung, des Ausdruckes,
dass auch hier, bei den mächtigsten künstlerischen Mitteln, das Berech-
nete einer wiederum mehr bühnenmässigen Wirkung vorwiegt. 1 Noch
zahlreiche andre Werke von mehr oder weniger durchgeführter Vollen-
dung reihen sich den genannten an. Zum Theil sind sie als mehr oder
weniger freie Nachbildung bestimmter Werke der früheren hellenischen
Kunst aufzufassem- Eine meisterliche Technik, verbunden mit einer Weise
der Behandlung, die bei aller Feinheit mehr aus der abgezogenen Regel
als aus der unmittelbaren Anschauung oder der lebendigen Ueberlieferung
der Schule entstanden ist, bildet überall den Grundzug der in Rede
stehenden Richtung.
Auch die Namen noch andrer griechischer Künstler dieser Zeit, für
deren Werke es uns indess an bestimmter Anschauung fehlt, werden mit
Ruhm genannt. Unter den in Rom beschäftigten Meistern, die sich durch
eigenthümliches Wesen besonders ausgezeichnet zu haben scheinen, sind
hervorzuheben: Pasiteles, zur Zeit des Pompejus, ein Künstler von
streng sorgfältigem Charakter, der u. A. auch die alte Kunst der chrys-
elephantinen Götterbilder erneute; Diogenes, zurZeit des Augustus,
der das Pantheon mit Sculpturen schmückte (und dem man eine Karya-
tide im Vatikan, als ein zur ursprünglichen Ausstattung des Pantheons
gehöriges Werk, zuschreiben zu dürfen glaubt); Zenodoros, zur Zeit
des Nero, der sich in Kolossalstatuen auszeichnete und einen Erzkoloss
des Nero von 110 Fuss Höhe, das grösste Kolossalbild des Alterthums,
das nachmals als Helios geweiht ward, fertigte.
Der hellenischen Richtung der Sculptur steht, wie bemerkt, die1
eigentlich römische gegenüber, welche den realen Erscheinungen des
Lebens zugewandt ist. Sie bethätigt sich in dieser Epoche yorzugsweise
1 Nach wörtlicher Auffassung der Stelle des Plinius (H. N. XXXVI, 4, 1])
über den Laokoon würde derselbe spät und erst für Titus gearbeitet sein. Ein
unabweislieher Widerspruch würde hierin nicht liegen. Da die Stelle aber auch
eine freiere Auslegung gestattet, so kann für die Gruppe füglich auch eine frühere
Zeit angenommen werden. (Man hat daher auch keinen Anstand genommen, sie
als ein Werk des dritten Jahrhunderts zu bezeichnen, eine Ansicht, die mir nicht
die richtige zu sein scheint.)