Allgemeiner Charakter.
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Geschoss, wobei in natlugemässerEntivickelung unterwärts stärkere, ober-
wärts leichtere Ordnungen angewandt wurden. Das ursprüngliche Ver-
hältniss des Säulensystems ging hiebei, indem die Zwischenweiten sich
übermässig ausdehnten, allerdings mehr oder weniger verloren; aber bei
der Yerwendung an der architektonischen Masse, bei der Rückwirkung
der letzteren auf jene dekorativen Theile konnte und sollte eine selbstän-
dige, zumal organische Wirkung der letzteren überhaupt nicht erstrebt
werden.
Die Wölbung des Bogens führte zur Ueberwvölbung umschlossener
Innenräume und somit wiederum zu eigenthümlichen Ausprägungen der
Innenarchitektur. Der oblonge Raum ward mit einem Tonnengewölbe,
der kreisrunde (oder polygonische) mit einer Kuppel überspannt; halb-
runde Nischen, welche sich gegen andre Räume öffneten (wie in den
Basiliken), empiingen ein halbes Kuppelgewölbe. In den letzten Zei-
ten der römischen Architektur, wie es scheint, entwickelte sich die
complicirte Form des Kreuzgetvölbes. Die ästhetische Unselbständigkeit
der antiken Bogenbildung zeigt sich auch an der Gewölbdekoration, der
alle eigentlich architektonische Gliederung fehlt, die aber den Schein einer
solchen gleichwohl durch Herübernahme der Kassetten der hellenisehen
Architravdecke zu gewinnen weiss. Die vorzüglichste Anwendung über-
wölbter Räume ergab sich bei den Bädern, deren mannigfach abgestufter
Gebrauch zu den Lebensbedürfnissen der Römer gehörte; besonders bei
jenen kolossalsten Anlagen der sogenannten Thermen, welche mit den
Bädern Alles verbanden, was dem Genusse eines behaglichen Nichtsthuns
entgegen kommen konnte, und durch deren Anlage die Machthaber, ins-
besondere die der späteren Zeit, die Gunst der Menge gefangen zu neh-
men wussten.
Es ist schlicsslieh noch der römischen Grabmonumente zu gedenken,
die, wie in der Vorzeit Italiens, wiederum eine sehr erhebliche monu-
mentale Bedeutung gewinnen. Sie sind von verschiedenartiger Beschaf-
fenheit, zum Theil in der Form kleiner Tempclhciligthümcr gebildet,
zum Theil in einer WVeise gestaltet, welche die uralte Tumnlusform zum
festen Thurmbau oder zum riesenmässig emporgeführten Terrassenbau
umwandelt.
Die römische Architektur hat nicht das einfach bestimmte Gesetz,
nicht den klaren Organismus der hellenisehen; aber sie bringt Wirkun-
gen hervor, deren Elemente dennoch sehr entschieden auf einem künst-
lerischen Bewusstsein beruhen und nicht selten soweit wir aus vor-
handenen Trümmern auf das Ganze architektonischer Erscheinungen zu-
rücksehliessen können auch eine feine künstlerische Berechnung er-
kennen lassen. Die römische Architektur ist vorwiegend, oder doch zum
grossen Theil, Massenbau; dem entsprechend ist ihre Detailbildung,
namentlich die des Gesimses, durchgehend derber, voller, gewichtiger als
die hcllenische (wenn auch ohne die Feinheit der Profilbildung, Welche
die letztere auszeichnet), ist sie reichlicher mit dekorativen Einzelheiten
versehen. Der dekorativen Verwendung des Säulenbaues beim Bogenbau
ist bereits gedacht; zu entsprechenden dekorativen Zwecken wirddas ko-
rinthische mit dem ionischen Kapital (in der Form des sogenannten römischen