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Die hellenische Kunst.
bezeichnen; seine vielfach wiederholte und stets bis zur bewunderten
Vollendung durchgeführte Aufgabe war es: ein hold aufblühendes Leben
darzustellen, das in sich wie ein ahnungsvolles Geheimniss alle Zukunft
lebenspendender Triebe birgt. Seine Kunst war sinnlich, wie alle Kunst,
welche der sinnlichen Erscheinung Genüge thun will; verlockend wie die
Natur, und rein wie die Natur, deren absichtsloses Walten auch nur dem,
welcher das eigne Ich aufgiebt, verlockend wird. Vorzüglich berühmt,
das gefeiertste Kunstwerk der alten Welt, war seine Statue der nackten
Aphrodite zu Knidos, die im rings offenen Tempel hoch erhaben dastand,
leise lächelnd und wie mit dem Ausdrucke feuchten Glanzes im Auge,
die Schaam mit der einen Hand deckend, mit der andern ein auf einer
Vase liegendes Gewand fassend. ' Mehrere Nachbildungen, namentlich im
vatikanischen Museum, lassen die stille, in sich beseligte Grösse dieses
lieblichsten Wunders, von dem die Verse und Schilderungen des Alter-
thums sprechen, nachempfinden. Ausser ihr werden noch verschiedene
andre Aphroditestatuen genannt, darunter eine bekleidete zu Kos. Ebenso
eine Anzahl von Statuen des Eros, im reizvollen Uebergange aus dem
Knabenalter in das des Jünglingcs, besonders gepriesen die zu Parion
und zu Thespiä. Ein Nachbild des letzteren findet man in dem schönen
Torso des Vatikans, mit schmachtendem, fast tiefsinnjgem Gesichtsaus-
drucke; ebenso in einer Statue des Museums von Neapel. Auch die Ge-
stalten des bacchischen Kreises behandelte Praxiteles in ähnlich zarter
Anmuth; fast in allen Museen, nicht selten mehrfach, findet sich die
Statue eines an einen Baumstamm gelehnten und in heitrer Schalkheit
vor sich hinblickenden Satyrs, der ohne Zweifel einem seiner berühmte-
sten Originale nachgebildet ist. Für den Apollon wählte er dasselbe
zartere frühe Jugendalter, in der Darstellung des Eidechsentödters) des
Apollon Sauroktonos), von der sich wiederum vielfach Nachbildungen er-
halten haben. So deuten auch andre jugendliche Apollogestalten, z. B.
der schöne "Apollino der Florentiner Gallerie, auf die durch ihn ausge-
prägte Bildung des Gottes zurück. Es ist übrigens zu bemerken, dass
neben Marmorarbeiten seiner Hand mehrfach auch Werke von Erz ange-
führt werden.
Sohn des Praxiteles und „Erbe seiner Kunst" war Kephisodotos.
Eine Notiz über ihn scheint eine gröber sinnliche Kunstrichtung zu be-
zeichnen. Bei andern Meistern der attischen Schule tritt, was die schrift-
lichen Nachrichten betrifft, keine weitere charakteristische Eigenthiimlich-
keit hervor." Silanion soll eine sterbende Iokaste von Erz gearbeitet
und ihrem Gesichte durch Beimischung von Silber die Blässe des Todes
gegeben haben, ein Verfahren, das (falls die Erzählung überhaupt richtig
ist) in der Absicht allerdings die allgemeine Zeitrichtung, in der Ausfüh-
rung aber eine schon sehr missverstandene Erneuung polychromatischer
Sculptur erkennen lässt.
Als namhafter Meister der peloponnesischen Schule ist zunächst, um
die Mitte des Jahrhunderts blühend, Euphranor zu nennen, ein vielsei-
tiger und gelehrter Künstler, der zugleich als Maler thätig war und der
besonders dahin arbeitete, die polykletischen Proportionen des mensch-
lichen Körpers durch leichtere zu ersetzen.