Volltext: Handbuch der Kunstgeschichte (Bd. 1)

(während es später seinen alten Ruhm in Pflege der Kunst auf höchst 
folgenreiche Weise erneut). Der Zeitfolge nach sind etwa die Unterschiede 
Zu beobachten: dass dem zweiten Viertel des Jahrhunderts der Beginn 
der in Rede stehenden Kunstblüthe angehört, das dritte Viertel ihren 
Höhepunkt ausmacht, das vierte theils die leisen Zeichen eines beginnen- 
den Abfalles, theils die Uebergänge und Vorbereitungen zu den folgenden 
Entwickelungen erkennen lässt. 
Architektur. 
Die Architektur, insbesondere die dorische, findet nunmehr in Athen, 
nach der verhältnissmässig gesteigerten Entwickelung, welche dort schon 
,gegen Ende des sechsten Jahrhunderts eingetreten zu sein scheint, ihre 
Vollendung. Mit dem edelsten Gleichmaass der Gesammtverhältnisse zeigt 
sich hier eine Behandlung der Formen, welche überall den frischesten 
und zugleich sichersten Ausdruck der Kraft hervor-bringt. Die Zwischen- 
gliedcr haben, ohne doch etwas an charakteristischer Bedeutung einzu- 
biissen, alle lastende Schwere verloren; der Echinus des Kapitäles ge- 
staltet sich in einer Weise, dass er als der Grundtypus der straffen Ela- 
sticität des gesammten hellenischen Formenwcsens dieser Zeit bezeichnet 
werden darf; der einfach strengen Combination, welche dem Dorismus 
ursprünglich eigen ist, wird an schicklicher Stelle, obgleich immer höchst 
Sparsam, ein oder ein andres Element zierlicherer, ionisirender Gliederung 
beigemischt, welches dem dorischen Ernste einen Hauch-weicherer Grazie 
Zu geben geeignet ist. Zugleich wird für das Ganze des architektonischen 
Werkes, durch feine Berechnung der Gesetze der Erscheinung, die leben- 
(ligste NVirkung erstrebt; bei den gediegensten Monumenten insbesondere 
dadurch, dass nicht bloss die Säulen (wie auch anderweit und schon früher) 
sich schwellend verjüngen, sondern gleichzeitig die grossen Horizontallinien 
am Stufenbau und selbst am Gebälk, statt in mathematischer Starrheit, 
in leis emporgewölbter Ourve gebildet sind.  Die ionische Architektur 
empfängt, wie es scheint, erst gegenwärtig in Athen eine hellenisch ge- 
regelte Ausbildung und zugleich, gegen den Schluss der Epoche, eine auf 
höchste Pracht und Zierlichkeit gerichtete Behandlung.  Das ltlaterial 
der athenischen Monumente ist durchaus der edle pentelische Marmor des 
attischen Landes. 
Von den dorisehen Monumenten Athens, deren Reste auf unsre Zeit 
gekommen, ist zunächst der Theseustempel, eins der besterhaltenen 
Bauwerke des gesammten hellenischen Alterthums, zu nennen. Er gehört 
dem zweiten Viertel des fünften Jahrhundert an, der Zeit der Kimonischen 
Staatsverwaltung, da Athen in den Besitz der Gebeine des Theseus ge- 
langte und den Reliquien seines Stammhcros den Tempel erbaute. Es 
ist ein Peripteralbau, von maassvollster, vorzüglich mustergültiger Behand- 
lung der dorischen Formen in ihrer charakteristischen Eigenthümlißhkeit; 
doch haben die Gebäilke im Inneren der Halle, bei denen durchlaufende 
Bilderfriese angewandt sind, weicher ionisirende Gliederungen. Von den 
Bildwerken ist ein Theil erhalten.  Ein zweiter dorischer Tempel, der 

	        
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