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Die hellenische Kunst.
äginetischen Stylcs vorauszusetzen ist, eine umfassende Anschauung. Sie
haben Kämpfe von Hellenen gegen Trojaner und zwar solche, welche
zur Verherrlichung des Aeakidengeschlechtes von Aegina dienen, zum
Gegenstande der Darstellung; Pallas Athene, in der Mitte jeder Gruppe,
als Führerin der Hellenexi. Sie sind zugleich als sinnbildliche Weihge-
schenke für den Sieg der Hcllenen über die Perser, an welchem die Gei-
ster der Aeakiden mitgekämpft, zu fassen. Die Darstellung hat drama-
tisches Leben, mit sinnreicher Befolgung der durch die Giebelform gege-
benen Linien; doch ist in der Oomposition noch kein eigentlich künstle-
risches Zusammenwirken, vielmehr das Einzelne als solches noch vorherr-
schend. Die zumeist ganz nackten Gestalten sind, bei etwas gedrungenem
Verhältniss, mit bewunderungswürdiger Beobachtung des organischen Ge-
füges gearbcitet, aber noch nicht zur unwillkürlichen Freiheit der Bewe-
gung gediehen; es ist in dieser Beziehung noch etwas herb Gebundenes
in ihnen. Die Athenegestaltcn (die eine ganz erhalten) haben in ihrer
Gewandung noch ein völlig conventionelles Gefalte. Ebenso ist das Haar
überall in conventionellen Löckehen gegeben. Die Gesichter erscheinen
durchaus noch maskenhaft, mit einem starr lächelnden Zuge.
Einige Werke lassen die glückliche Weiterbildung der durch die
äginetischen Statuen bezeichneten Richtung, die freiere Entfaltung der
körperlichen Gesammterscheinung bei noch alterthümlicher Strenge, erken-
nen. Dahin gehören eine treffliche Athletenstatue im Museum von Nea-
pel und die ungemein meisterliche Bronzestatuette eines wagenlenkcndcn
Heros im Antiquitätenkabinet der Tübinger Hochschule, in welchem man
den Amphiaraos erkennen zu dürfen glaubte. 1 Mehrere weibliche Sta-
tuen zeigen eine Behandlung der Gewänder im Sinne der zu der ägine-
tischen Gruppe gehörigen Athenestatue und in freierer, durch Haltung
und Geberde bedingter Verwendung. Es sind zumeist zwar wie sich aus
Nebenumständen oder aus der Technik ergiebt, keine Originale, sondern
Copien aus jüngerer Zeit, doch mit charakteristischer Bewahrung der so
zierlich wie in strenger Regelmässigkeit angeordneten Fältelung des Ge-
Wandes, welche in dem festlichen Kleiderputz altgeheiligter Holzbilder ihr
Urbild hatte und dem Bedürfniss einer Kunststufe, die noch unter dem
Gesetze des architektonisch Conventionellcn stand, durchaus entsprach.
Als Werke, idie auf besonders strenge Originale zurückdeuten, sind die
alterthümlichen fragmentirten Athenestatuen in der Sammlung zu Dresden
und in der Villa Albani zu Rom anzuführen. Eine aus Herculanuln her-
rührende Athenestatue, im Museum von Neapel, eine Pallas Promachos,
ist durch die sehr grossartige Geberde, mit welcher die alterthümliche
Feierlichkeit der Gewandlinien in wirksamcm Contraste steht, ausgezeich-
net; eine alterthümliche Artemis aus Pompeji, ebendaselbst, durch die
feine Durchbildung und das Gepräge jungfräulicher Schüchternheit, wel-
ches die erwachende Kunst liebenswürdig charakterisirt. (Dies ist ein
Originalwerk, merkwürdig auch durch die erhaltenen Reste bllllllfälfblgßf
Kleidersäume und sonstiger Farbenzierden, mit welchen der Marmor ver-
sehen war.)
die altgriechische Bronze des Tmdschen Cabiuets zu Tübingen.
Grüneisen,