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Kunst.
VI. Die hellenische
Feststellung der äusseren Verhältnisse beginnen. Das Erbe der vorge-
fundenen pelasgischen Cultur war dabei, sofern es auf die Gewinnung
von Formen ankam, welche dem neuen Volksgeiste entsprachen, vielmehr
ein Hemmniss, welches auch geistig überwunden werden musste, als ein
förderndes Element. Jahrhunderte mussten hingehen, ehe die neue
die hellenische Kunstepoche in ihrer Selbständigkeit hervortreten konnte.
Das zunächst Wesentliche und Eigenthümliche in monumentaler Be-
ziehung, was die Dorier einführten, war ein Tempelbau mit Säulen (mit
säulengetragener Vorhalle). Dies liegt schon im Begriif der ausdrücklich
so genannten dorischen Bauweise, in dem, was auch in ihrer späteren
reicheren Ausbildung als das ursprünglich Bedingende erscheint. Ohne
Zweifel war es ein einfacher Holzbau, wie dieser bei einem, im Uebrigen
culturlosen Bergvolk vorauszusetzen ist. Reste uralten Holz-Säulenbaues
der Art, welche sich noch in der Spätzeit des Alterthums im Peloponnes
erhalten hatten, wurden vorzugsweise der Epoche der Einwanderung der
Dorier zugeschrieben und mit den Ereignissen derselben in Verbindung
gebracht. Die Natur der Sache und die historische Analogie führen dahin,
den ältesten dorischen Tempelbau, was das Allgemeine seiner äusseren
Erscheinung anbetrifft (und abgesehen von den Erfordernissen des reli-
giösen Rituals) als dem etruskischen verwandt anzunehmen.
Auch das Götterbild, welchem dieser Tempel als Wohnung zugewiesen
ward, war eine einfache Schnitzarbeit aus Holz. Die Schriftsteller des
Alterthums gedenken nicht selten der formlosen Beschaffenheit solcher
Arbeiten und der Heilighaltung, welche sie ihrer urthümlichen Erscheinung
verdankten. Die Mythengeschichte der Kunst lässt sie in der Regel
durch Dädalos (den_im Uebrigen die athenische Kunstgeschichte für sich
als Ahnherrn in Anspruch nahm) gefertigt werden. Kindlicher Sinnes-
richtung gemäss wurden sie, je nach den Erfordernissen der einen oder
andern Festfeier, mit Gewandungen mancher Art und mit Schmuck versehen.
Der Eintritt reicherer Lebensbedürfnisse musste zur dekorativen und
bildnerischen Ausstattung der einfachen Tempelanlage führen. Alte Ueber-
lieferungl weist nach Korinth, der glänzendsten unter den altdorischen
Städten, als dem Orte, wo vorzugsweise jener Tempelschmuck seine Aus-
bildung empfing. Dort blühte die Töpferkunst; dort sollen die Erzeugnisse
der letzteren zuerst zur Zierde der Bedachung und des Giebelwerkes der
Tempel verwandt worden sein. Als Eründer der plastischen Kunst und
ihrer architektonischen Verwendung wird dabei Dibutades genannt. Es
ist eine Weise der Ausstattung, welche nicht minder auf eine ursprüng-
liche Verwandtschaft mit etruskischer Art hindeutet. Ja, dieselbe Uebcr-
lieferung lässt diese Kunstweise geradehin von Korinth nach Etrurien
übertragen werden, was freilich, bei der früheren Entwickelung der etrus-
kischen Cultur, mit grösserer YVahrscheinlichkeit auf das entgegengesetzte
Verhältniss (auf ein Uebertragen von Etrurien nach Korinth) zu deuten
sein dürfte 2 und jedenfalls einen unmittelbaren Verkehr zwischen al-t-
dorischer und etruskischer Kunstübung bezeichnet.
1 Plinius, H. N. XXXV, 43.
hellenischer Oultur nach Etrurien
2 Das später sehr allgemeine Ueberwagen
wird jene, für die frühere Epoche wenig be-