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ites Buch.
Mühen. Hier krystzillisirte nicht das Leben in monotoner Masse um einen
festen Mittelpunkt; vielmehr gliederte sich in reichster Mannichfaltigkeit
das durch Gebirgszüge und tief einschneidende Buchten vielfach getheilte
Land zu mancherlei Einzelgruppen, die für die Entfaltung eines individuell
besondern Lebens den geeignetsten Spielraum boten. Hier endlich lockte
die hafenreiehe Küste und die herrliche Lage inmitten dreier Welttheile
zum Handel, zur Meerfahrt, zur Beweglichkeit des Denkens und 'l'raehtens.
XXQt-si-liywxles Auf diesem bevorzugten Boden treffen wir nun ein Volk, das in seinem
" "s Wesen die Vorzüge des Landes, gleichsam in höchster Potenz entwickelt,
zur edelsten Blüthe entfaltet zeigt. War bei jenen Völkern des früheren
Alterthums irgend eine Seite menschlicher Begabung auf Kosten der übrigen
ausschliesslich vorwiegend, dort die Phantasie, dort der grübelnde Ver-
stand, dort die praktische Richtung nach Aussen: so sind in den Griechen
jene Eigenthümlichkeiten auf's Edclste verschmolzen. Da nun keine zum
Nachtheil der andern ausgebildet wurde, so erwuchs daraus einestheils ein
Sinn für weises Maasshalten, welcher der kolossalen Ungeheuerliehkeit
abhold war, anderntheils eine Harmonie der Durchbildung, welche den
Menschen nach seiner sinnlichen und geistigen Seite zu einem in sich eini-
gen, geschlossenen Individuum ausprägte.
lPir-ihcitssinxi. Hiermit hing der den Griechen innewohnende mächtige Trieb zur
Freiheit zusammen. Selbst ihre alten Alleinherrschaften, die in der Heroen-
zeit überall bestanden, waren weit entfernt vom Charakter asiatischer
Despotie. Wir finden ihre Könige von einem Rathe der Aeltesten, Weisesten
umgeben, und schon damals haben die Versammlungen des Volkes einen
bestimmenden Einfluss auf die öffentlichen Angelegenheiten. Aus dem
Sturze ener Herrschergeschlechter erblühte sodann def kräftige Baum
staatlicher Freiheit, unter dessen schützendem Dache allein jene hohe Gul-
turblüthe sich entfalten konnte, welche die Bewunderung aller Zeiten ist.
Welch ein Gegensatz zu jenen despotisch regierten Völkern des Orients!
Dort wurden alle Unternehmungen, auch die künstlerischen, von einem
unumschränkten Herrscherwillen dictirt, dem die Masse des ausführenden
Volkes sclavisch gehorchte. Daher in allen jenen Werken eine eintönige
Kolossalität, welche den Mangel geistigfreien Gepräges durch das Massen-
hafte vergeblich zu ersetzen sucht. Bei den Griechen aber entsprangen jene
herrlichen Kunstwerke dem lebendigen Sinne, dem thatkräftigen, selbst-
bestimmenden Geiste des Volkes. Daher jene klar umgrenzte, mit plastischer
Bestimmtheit sich von der N aturumgebung ablösende Gestalt der Bauwerke,
die wie lebenerfüllte Individuen leuchtend vor uns stehen.
Sinn fürMziuss Doch die Freiheit allein, dies Grundprincip griechischen Wesens,
nnäggnm würde leicht in schrankenlose Willkür entartet sein, wenn nicht der an-
geborne Sinn für Harmonie , für edles Maass zügelnd dazugetreten wäre.
Es lebte in jenem Volke eine geradezu religiöse Scheu vor dem Ueber-
triebenen, Maasslosen; aus allen ihren Schöpfungen weht uns wohlthuend,
beruhigend dieser Hauch entgegen, und in ihren Tragödien ist das Ueber-
schreiten jenes Grundgesetzes stets der Angelpunkt der tragischen Kata-
strophe. Desswcgen war in ihren Freistaaten, selbst in den am meisten
demokratischen, ein starkes aristokratisches Element vorhanden, aber es
war die edelste, beste Aristokratie, die jeder gebildete GßiSt mit Freuden
anerkennt, die Aristokratie der Edelsten, Besten.