Fünftes Kapitel.
Aegyptische Baukunst.
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schiedenen Säulen wechselnd, ebenfalls dem Pflanzcnreiche entlehnt ist.
Spielender erscheinen endlich jene aus vier Isisköpfen zusammengesetzten
Kapitale, auf Welchen der das Gebälk aufnehmende Deckstein in Gestalt
eines kleinen Tempelchens ruht (Fig. 43). Sie gehören der spätesten Epoche
ägyptischer Kunst an. Gewöhnlich sind die Säulen
FigJl in ihrer ganzen Ausdehnung mit bunten Figuren und
Hieroglyphen bedeckt, die in lebendiger Harmonie z.u
dem brillanten Farbenschmucke der übrigen Bautheile
stehen, aber gleich jenen, ja. noch ehr als sie, den
schwachen Punkt der ägyptischen Arclätektur verrathen.
Denn _die_ Saule busst duich dies blosse Iyleberziehen
H, mit bildlichem Schmucke einen giossen lheil ihiei
Würde und Kraft e1n, da die bunte Umhüllung nur die
" 1' "l Eingebungen der XVillkür, nicht den nothwendig ge-
Kmmä, w, Dende,.,h_ botenen Ausdruck entschiedenen Stützens zur Erschei-
nung bringt. Strenger dagegen sind die Pfeiler
und Pilaster gebildet, deren sich der ägyptische Styl ebenfalls häufig
bedient. Ihre mit Bildwerken geschmückten Flächen stützen ohne Ver-
mittlung eines besonderen Gliedes die Steinbalken der Decke. An der Vor-
derseite sind aber gewöhnlich aufrechtstehende menschliche Figuren ange-
bracht, die indess, ohne zu tragen, sich bloss an die Pfeiler anlehnen.
Dcnselben Mangel einer streng organischen Entwicklung offenbart die Gvsnmmt-
Gesammtanlage der Tempel. Wie das Portal gleichsam in den Bau einge- Whg"
schoben ist, Xvie sich diese Einschiebung bei jedem neuen Pylon wieder-
holt, wie eine zweite und oft eine dritte Mauer innerhalb der Umfassungs-
niauer sich umherzieht, wie endlich das innerste Heiligthum ebenso dem
uinschliessenden Bau eingesetzt ist: so lässt sich dies Einschachte-
lungssystem , wie man es treffend bezeichnet hat, in allen Theilen ver-
folgen. Der ägyptische Tempel erscheint daher als ein Aggregat einzelner
Theile, fähig, bis inls Unendliche Zusätze und Erweiterungen zu erfahren,
wie dies nachweislich in der 'l'hat stattfand. Sodann ist zu beachten, dass
der Tempel, nachdem er durch imposante Portale, Üorhöfe, Hallen den
Sinn des Eintretenden gefesselt und auf das Höchste vorbereitet hat, all-
mählich niedriger, enger, düsterer zusammenschrumpft, so dass da, wo
würdigste Entfaltung, höchste Erhebung erwartet wird, niedrige Beschrän-
kung eintritt und mit der Oede eines mystischen Schweigens antwortet.
Dies hängt wieder eng mit dem Wesen ßmes Cultus zusammen, der in
seinem Allerheiligsten keine lebenerfüllteh , VOIn Volksgeiste geschaffenen,
sondern nur todte , durch Priestersatzung geformte Göttergestalten aufzu-
weisen hatte. Nicht minder endlich ist die Eintönigkeit des ägyptischen
Grundrisses, der sich überall in derselben unorganischen Zusammensetzung
wiederholt, bezeichnend für das einer lebendigen Entwicklung unfähige
Wesen jener Kunst. Denn auch hier begegnen wir zwar im Verlauf ihrer
melirtausendjälirigen Existenz den natürlichen Fortschritten vom Einfachen
zum Reichen und von da zum Spielend-Ueppigen: allein eine eigentliche
Fortbildung der 1301m hat nur in geringem Maasse, eine Entwicklung der
Construction gar nicht stattgefunden.
Andererseits lässt sich nicht leugnen, dass dieser Styl, im Vergleich Vfeserltligher
mit den vorher betrachteten Bauweisen, eine unverkennbar höhere Stellung Iiorlschrlm