Viertes Kapitel.
Baukunst im neunzehnten Jahrhundert.
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Baulust , eine strenger antikisirende Richtung auf. Eins der edelsten Bei- Neliring.
spiele derselben ist das I 685 von Nelzwäzg begonnene Z eughaus zu B er-
lin. Im Gegensatz gegen die gleichzeitige äusserste Entartung des Barock-
styls in Italien ist dieses Werk ein Beweis edler Einfachheit, gesetzlicher
Harmonie bei schönster Disposition und ungewöhnlich noblen Verhältnissen.
Verwandter Richtung folgte beim Bau des k ö n i g 1 i c h e n S c h l 0 s s e s A- Schlütßr-
zu B er lin seit 1699 bis 1706 der grosse Andreas Schläfer, auch als Bild-
hauer bewundernswerth , der mächtigste Künstlergenius seiner Zeit.
Mehr in der borrominesken Barockweise befangen erscheint ein Zeitgenosse Fischer von
Sehlütefs , Fischer von Erlaclz , der seit 1716 die Karl Borromäus- Erlum
Kirche zu Wien erbaute. Etwas späterer Zeit gehört die Thätigkeit B. Neumann.
Baltlzasar Nezwnanvfs an, der von 1720 bis 1744i die fürstbischöfliche Re-
s id e n z zu W ü r z b ur g in prunkvoll stattlicher Anlage aufführte.
In Dre sden ist die von Gaötaazo Cltiaveri seit dem J. 1 736 erbaute Katho- Bauten m
lische Kirche ein interessantes Beispiel stattlichen Barockstyles; die Dresdm"
volle plastische Bildung der Glieder, die etwas theatralisch bewegten Sta-
tuen und der hohe, auf Säulenstellungen in verschiedenen Stockwerken sich
erhebende Thurm sind von ansprechender Wirkung. Dagegen vertritt der
seit 1711 unter König August dem Starken angelegte Z winger den üppig-
sten Rococostyl in glänzendster Weise. Hieran schliessen sich die unter ßfrli" und
Friedrich des Grossen Regierung in Berlin und Potsdam entstandenen, luisdm"
meistens von W. u. Knobelsvlovf in stattlicher Weise entworfenen Bauten,
die grossentheils eine einfach-tüchtige, wenn auch im Detail etwas trockene
Behandlung zeigen. Gegen Ende des 1 8. J ahrh. verfällt "auch hier wie überall
die Architektur einer unendlich nüchternen, charakterlosen Richtung, die
sich in ihrer Ohnmacht besonders klassisch dünkte.
V l b] IYHCS
KAPYFPIL.
Die Baukunst im neunzehnten Jahrhundert.
Der Beginn des neunzehnten Jahrhunderts bezeichnet im ganzen eum- Ggistigcyulu.
päischen Leben einen gewaltigen Umschwung. Die beiden vorhergehenden
Jahrhunderte hatten, im Geleit eines zügellosen Individualismus, alle festen,
allgemeinen Gesetze des sittlichen Daseins allmählich aufgelöst. In den
staatlichen Verhältnissen spiegelte sich nur unbegrenztes Beheben des Ein-
zelnen, das mit seiner Frivolitat das gesellschaftliche Leben nach und nach
immer gefährlicher vergiftete. Die Folgen konnten nicht ausbleiben. Vor
dem gewaltsamen Umsturz der Dinge brachen die alten Verhältnisse des
staatlichen und gesellschaftlichen Lebens machtlos zusammen. Von da an
beginnt ein neuer Aufschwung. Die Welt hat erkannt, dass schrankenlose
Willkür zu unheilvoller Auflösung führen muss. Sie sucht seitdem wieder
im Allgemeinen, in grossen Grundanschauungen ihren Halt zu finden. Vor-
nehmlich ist es ein ernsterer geschichtlicher Sinn , der aus der Erkenntniss