Zweites Kapifel.
Renaissance in Italien.
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Die Schattenwirkung ist daher eine ungemein kräftige, malerische. In die- Ißlanlurisrh
ser Richtung geht man aber immer weiter. Man sucht bei den Bauten alle
erdenklichen perspectivischen Mittel anzuwenden und verfällt deshalb bald
in eine Manier, welche jedem gesunden, constructiv organischen Wesen
Hohn spricht. Die runden Linien , die man an den Kuppeln gewohnt war,
steigen gleichsam herab und verbreiten sich über den ganzen Bau. Nicht
allein dass die Giebel der Dächer, der Fenster und Thüren runde , gebro-
chene, geschweifte Formen annehmen: selbst der Grundriss erhält rundlich
geschwungene Linien, so dass diese Bauten sich in tollem Kampfe gegen
alles Geradlinige auflehnen. Den Gipfel erreicht dies Unwesen im siebzehn-
ten Jahrhundert durch Borromini, und es ist nicht zu viel gesagt, wenn
Burckhardt von aFieberphantasien der Architektura spricht. Man wundert
sich vielleicht darüber , dass dieselbe Zeit , die in der darstellenden Kunst
eine Fülle hochbedeutsamer Leistungen in Italien, Spanien und den Nieder-
landen schuf, in der Architektur solche Entartung hervorrief. Wer aber auf
den inneren Kern, auf das Lebensprincip dieser Epoche hinblickt, dem wird
der Schlüssel zur Lösung dieses befremdlichen Widerspruchs nicht fehlen.
IDer Widerspruch ist nur ein scheinbarer. Die freie Subjectivität, welcher
die moderne Zeit huldigt, und die in jenem Jahrhundert ihren Gipfelpunkt
erreichte und zu dem berüchtigten Grundsatz kam: Fätmf c'est moi, aus
dem sich dann selbstredend auch folgern lässt: Za Zoi c'est mm" , diese Sub-
jectivität musste in den bildenden Künsten zu neuen, herrlichen Leistungen
führen. Denn gerade das unendlich mannichfache individuelle Leben , wie
es im subjectiven Gemüth sich spiegelt, ist der unerschöpfliche Inhalt der
Malerei und Bildnerei. Die Architektur dagegen, die in ihren höchsten
Gestaltungen die allgemeinen Verhältnisse der Völker und Zeiten ausdrückt,
indem sie die Gesetze der anorganischen Natur in hoher künstlerischer
Consequenz darstellt , konnte durch jenesPrincip zuletzt nur auf Abwege,
ja zum Untergang hingeführt werden. Was dort sich befruchtend und
heilsam erwies, wurde hier zerstörend und verderblich.
Dass es aber eine kraftvolle Zeit, eine Zeit mächtiger Individuen war, fivsßljicl
das spricht lebendig aus den oft bedeutenden Verhältnissen, der derben, huhcriicu
schlagkräftigen Behandlungsweise, dem leidenschaftlichen Leben der Glie-
der, der genialen", oft tollkühnen Willkür, die den Stoff sich hier gebie-
terisch unterwarf. Es ist als 0b in jenem Aufbäumen, jenen Schnörkeln
und Verrenkungen der Geist der Architektur sich senfzend unter der Hand
seiner Peiniger winde. Das achtzehnte Jahrhundert kam allmählich von die-
ser wilden Raserei zurück. Aber es war nur die Erschöpfung nach langer
Krankheit, nur der öde , nüchterne Morgen nach dem Rausche. Die Zeit
selbst hatte sich ausgetobt und abgelebt. Nach langen Kämpfen war sie zu
einem knöchernen Mechanismus gelangt, in welchem sie vergeblich Heil
und Halt suchte. So auch die Architektur.
Einer der einflussreichsten Meister des 17. Jahrh. ist der auch als 1.. Bcrm
Bildhauer berühmte Lorenzo Bernini (1589 -1680). Von den Anlagen,
die er der Peterskirche hinzufügte, war schon die Rede. Sein beklagens-
werthes Werk ist auch das kolossale bronzene Altartabernakel in jener
Kirche, beklagenswerth nißhf b10SS wegen seiner ungeheuerlichen Missge-
stalt und des verderblichen Einflusses, den dieselbe verbreitete, sondern
auch wegen seines Materials, denn seinetwegen wurde die kostbare antike