Volltext: Geschichte der Architektur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart ; mit 448 Holzschnitt-Ill.

Zweites Kapifel. 
Renaissance in Italien. 
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Die Schattenwirkung ist daher eine ungemein kräftige, malerische. In die- Ißlanlurisrh 
ser Richtung geht man aber immer weiter. Man sucht bei den Bauten alle  
erdenklichen perspectivischen Mittel anzuwenden und verfällt deshalb bald 
in eine Manier, welche jedem gesunden, constructiv organischen Wesen 
Hohn spricht. Die runden Linien , die man an den Kuppeln gewohnt war, 
steigen gleichsam herab und verbreiten sich über den ganzen Bau. Nicht 
allein dass die Giebel der Dächer, der Fenster und Thüren runde , gebro- 
chene, geschweifte Formen annehmen: selbst der Grundriss erhält rundlich 
geschwungene Linien, so dass diese Bauten sich in tollem Kampfe gegen 
alles Geradlinige auflehnen. Den Gipfel erreicht dies Unwesen im siebzehn- 
ten Jahrhundert durch Borromini, und es ist nicht zu viel gesagt, wenn 
Burckhardt von aFieberphantasien der Architektura spricht. Man wundert 
sich vielleicht darüber , dass dieselbe Zeit , die in der darstellenden Kunst 
eine Fülle hochbedeutsamer Leistungen in Italien, Spanien und den Nieder- 
landen schuf, in der Architektur solche Entartung hervorrief. Wer aber auf 
den inneren Kern, auf das Lebensprincip dieser Epoche hinblickt, dem wird 
der Schlüssel zur Lösung dieses befremdlichen Widerspruchs nicht fehlen. 
IDer Widerspruch ist nur ein scheinbarer. Die freie Subjectivität, welcher 
die moderne Zeit huldigt, und die in jenem Jahrhundert ihren Gipfelpunkt 
erreichte und zu dem berüchtigten Grundsatz kam: Fätmf c'est moi, aus  
dem sich dann selbstredend auch folgern lässt: Za Zoi c'est mm" , diese Sub- 
jectivität musste in den bildenden Künsten zu neuen, herrlichen Leistungen 
führen. Denn gerade das unendlich mannichfache individuelle Leben , wie 
es im subjectiven Gemüth sich spiegelt, ist der unerschöpfliche Inhalt der 
Malerei und Bildnerei. Die Architektur dagegen, die in ihren höchsten 
Gestaltungen die allgemeinen Verhältnisse der Völker und Zeiten ausdrückt, 
indem sie die Gesetze der anorganischen Natur in hoher künstlerischer 
Consequenz darstellt , konnte durch jenesPrincip zuletzt nur auf Abwege, 
ja zum Untergang hingeführt werden. Was dort sich befruchtend und 
heilsam erwies, wurde hier zerstörend und verderblich. 
Dass es aber eine kraftvolle Zeit, eine Zeit mächtiger Individuen war, fivsßljicl 
das spricht lebendig aus den oft bedeutenden Verhältnissen, der derben, huhcriicu 
schlagkräftigen Behandlungsweise, dem leidenschaftlichen Leben der Glie- 
der, der genialen", oft tollkühnen Willkür, die den Stoff sich hier gebie- 
terisch unterwarf. Es ist als 0b in jenem Aufbäumen, jenen Schnörkeln 
und Verrenkungen der Geist der Architektur sich senfzend unter der Hand 
seiner Peiniger winde. Das achtzehnte Jahrhundert kam allmählich von die- 
ser wilden Raserei zurück. Aber es war nur die Erschöpfung nach langer 
Krankheit, nur der öde , nüchterne Morgen nach dem Rausche. Die Zeit  
selbst hatte sich ausgetobt und abgelebt. Nach langen Kämpfen war sie zu 
einem knöchernen Mechanismus gelangt, in welchem sie vergeblich Heil   
und Halt suchte. So auch die Architektur.  
Einer der einflussreichsten Meister des 17. Jahrh. ist der auch als 1.. Bcrm 
Bildhauer berühmte Lorenzo Bernini (1589 -1680). Von den Anlagen, 
die er der Peterskirche hinzufügte, war schon die Rede. Sein beklagens- 
werthes Werk ist auch das kolossale bronzene Altartabernakel in jener 
Kirche, beklagenswerth nißhf b10SS wegen seiner ungeheuerlichen Missge- 
stalt und des verderblichen Einflusses, den dieselbe verbreitete, sondern 
auch wegen seines Materials, denn seinetwegen wurde die kostbare antike
	        
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