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Sechstes Buch.
Auch hierin spricht sich eine innere Uehereinstirnmung mit der praktischen
Richtung, dem freien, rührigen, auf's wirkliche Leben zielenden Sinn der
antiken Römerzeit aus, und ein kräftiger Hauch freudig klaren Wesens
weht aus den Schöpfungen dieser Epoche uns an. Er entschädigt selbst
für das manchmal vorherrschende kühl verständige Element, das unver-
meidlich sich einfinden musste bei einer Architektur, die im Gegensatz zu
den meisten früheren Baustylen ein Erzeugniss der Reflexion und einer euf
der Reflexion beruhenden mehr wissenschaftlichen als ausschliesslich künst-
lerischen Begeisterung war.
ZWEITES
KAPITEL.
Die
Renaissance
in
Italien.
Erste Periode:
Frührellaissance.
(1420
1500.
Um das Jahr 1420 taucht zuerst die bewusste Wiederaufnahme der
antiken Formen in der Baukunst auf. Von da bis gegen 1500 lässt sich die
erste Periode der Renaissance datirenl). Diese nFrührenaissancea
trägt. den Charakter des Schwankens, des Suchens an sich. Erfüllt von
dem Gefühl für grossartige Räumlichkeit, welches schon die frühere
Epoche in Italien geweckt und genährt hatte, vermag sie sich von manchen
Traditionen des mittelalterlichen Baustyles nicht gänzlich loszureissen und
bemüht sich , die antiken Formen damit in Uebereinstimmung zu bringen,
sie in freier Weise für die neuen baulichen Zwecke zu verwenden. S0
schwankt sie vielfach in der Bildung der Gesimse; so wendet sie die durch
ein schlankes Säulchen getheilten Bogenfenster der mittelalterlichen Bau-
weise gern an; so greift sie zumal in der Anlage der Kirchen zu der nie-
mals in Italien ganz aufgegebenen Säulenbasilika mit offenem Dachstuhl
i) Für die Geschichte der einzelnen Baumeister und ihrer Werke bietet eine (lankensiverthe Ueber-
sic-ht Quutremere de Quincy : Histoire de la vie et des ouvrages des plus cvL-löbres architectes etc. 2 Vols.
S. Paris 1830. Eine vollständige Geschichte der italienischen Renaissance bis in die späte Zeit des
Verfalls enthältdn knappster und doch reichhaltigster Darstellung der "Cicerone" von Juc. Burckhardt
(Basel 1855) v 9111 Buch von seltener Feinheit und Schärfe der künstlerischen Anschauung, dessen Stu-
dium bei einem Besuch Italiens oder beim Durchgehen der zahlreichen guten Kupferwerke den Archi-
tekten nicht genug empfohlen werden kann. Unsere Behandlung dieser Epoche stützt sich hauptsächlich
auf diese Arbeit. j- Zahlreichc Risse ausserdem in dem ziemlich planlosen , aber reichhaltigen Sammel-
werke von Wiebckmg: (theoretisch-praktische bürgerliche Baukunde. 4 Bde. 4. u. 2Bde. F01. München
1321-1526. Trcßliche architektonische Aufnahmen , meist von französischen Architekten, sind in
folgenden Hauptwerkcn zu finden: P. Letarmiilly: Edifices dc Rome moderne. 2 Vols. 4. u. Fol, Paris
1840 (in jeder Hinsicht mustergultige Prachtpublication). Portier ct Foutaine: Choix des plus cele-
hYeS "lßisßns dß Plaisa-"Ce 5' Rome- Fül- Paris 1809, neue Ausg. 1824. Dieselben: Palais, maisons et
antres edifices modernes, dessines b Rome. Fnl. Rom 179S.- Granrliean de Montigny et Famin: Archi-
tecture Toscane. F01. Paris 1846. Gauthier: les plus beaux ezlitices de la ville de Genes et de ses
environs. F01. Paris 1815. Cinognara: le fabbriche piu cospicue di Venezia. 3Vols. F01. Venczin
181 5-20.