Drittes Kapitel.
Gothischer Styl.
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Schönheit der Verhältnisse, höchstem Adel der Durchhildung und meister-
hafter Vollendung der Gewölbe. Die feinen Rippen schwingen sich von den
eleganten, schlanken Granitsäulen nach allen Seiten wie ein hohes Palmen-
dach empor, das den Eindruck der Zierlichkeit mit dem der Würde paart.
Andere kleinere Schlösser des Ordens in Ostpreussen bieten manches
Verwandte in Anlage und Behandlung, so das Schloss zu Heilsberg
In
Italien,
Spanien
und
Portugal.
In ein von den übrigen Ländern durchaus verschiedenes Verhältniss
trat Italien 2) zur gothischen Architektur. Hatten die nordischen Völker in
dem neuen Style den Ausdruck ihres eigensten Wesens gefunden und ihn
demnach mit hoher Lebensfreudigkeit und Begeisterung erfasst und ent-
wickelt, so nahm man in Italien nur von der allgemeinen Zeitströmung über-
wältigt ihn auf und bequemte sich ihm in äusserlicher Weise an. Hier war
er Ergebniss der Mode, nicht der Nothwendigkeit; nicht Sache des Her-
zens, sondern der Convenienz. Schon in romanischer Zeit hatte die ent-
wickelte Gewölbkirche nur in den mehr mit germanischen Elementen
gemischten Theilen des Landes sich Bahn gebrochen; in Rom wie in dem
feingebildeten Toskana war man bei der flachgedeckten Basilika, bei den
antiken Traditionen stehen geblieben. Der heiter-behagliche Sinndes Südens
liebte mehr weite, freie, breitgelagerte Räume von mässiger Erhebung und
ausgedehnten Wandiiächen, an denen sich der gestaltungsfreudige Trieb
des Volks in farbiger Bilderschrift ergehen konnte.
_Unter dem Einfluss dieser Sinnesrichtung musste der gothische Styl,
so streng und starr sein System auch war, dennoch das Haupt beugen.
Freie, weite Raumdispositionen von massiger Höhe bleiben nach wie vor die
überwiegende Tendenz der italienischen Architektur. Die Abstände der
Pfeiler, die Schiffbreiten sind leicht und weit; die Richtung geht mehr in
die Breite als in die Höhe. Das Aufstrebende des Styls wird daher nur
bedingt zugelassen, und durch die mächtig ausgesprochene Horizontale in
Schranken gehalten. So erhebt sich auch das Mittelschiff in geringerem
Maasse über die Abseiten, und hat in seinen Oberwänden geringe Licht-
öifnungen. Diesem Verhältniss analog gestaltet sich die Pfeilerbildung
wesentlich verschieden. Der schlanke Bündelpfeiler, der das rastlose Auf-
steigen so lebendig vertritt, weicht einem mehr körperlichen, vier- und
achteckigen Pfeiler oder einer Rundsäule; die Gewölbrippen haben statt
des scharf elastischen Profils eine mehr breite , rundliche, durch aufgemalte
Muster belebte Form. Besonders aber werden die Wandflächen wieder in
ihr Recht eingesetzt, indem der Umfang der Fenster gemindert wird. Auf
diesen VVandfeldern entwickelte sich die italienische Malerei zu jener Höhe.
welche die Bewunderung aller Zeiten ist. Am Aeusseren herrschen in glei_
cher NVeisedie ruhige Fläche und die Horizontallinie vor. Der Strebe-
pfeiler , der im Norden den ganzen Bau überwuchert, wird auf das durch
die Construction, durch seine Bedeutung als YViderlager erforderte Maass
zurückgeführt und als einfacher Mauerstreifen, nach Analogie der Lisenen
des romanischen Styls, behandelt. Kräftige Gesimse betonen die horizontale
Italienisch-
goth. Styl.
Grundzüge.
1) Aufnahmen in F. v. Quasfs Denkm.
2) Vgl. die Literatur auf S. 347.
d. Baukunst in Preussen.
l. Lfg. F01. Berlin
1852.