Drittes Kapitel.
Gothischer St-yl.
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Hülfe kam. Der decorative Styl, der bis tief in's 16. Jahrh. hinein-'
reicht, hält im Allgemeinen hier eine ruhigere Mittellinie ein und steigert
sich weder zu der üppigen Verschwendung, noch zu der völligen Auflösung
der Formenwelt in ein phantastisches Spiel, wie in England. Eine strengere
Zucht und Schule scheint hier die Bauhütten zu durchdringen, und selbst
in den willkürlichen Bildungen dieser Zeit herrscht zumeist ein klarer Sinn,
eine ruhigere Empfindung. Charakteristisch ist für die letzte Epoche, dass
in demselben Maasse, wiedas Decorative in einseitigem Streben gepflegt
wird, die Gesammtanlage, Vertheilung der Räume,- der Kern des Baues
nüchterner wird. Der Eselsrücken und die Fischblase sind auch hier über-
wiegend gebraucht; im Inneren herrschen reichere Gewölbanlagen, Stern-
und Netzgewölbe aller Art, die sich manchmal unmittelbar aus den Pfeilern
verzweigen. Die Profilirungen des Masswerks verlieren an elastischer Span-
nung, die Stäbe durchschneiden sich oft, besonders an Portalen, in unruhi-
ger Weise, das Laubwerk erhält eine theils schwülstige, theils knöcherne,
bucklige Form, und zuletzt entartet die Steinbildung so weit, dass sie in
Nachahmung verschlungenen Baumgeästes sich ergeht (vgl. Fig. 369). An
den Stämmen der Tragsäulchen , an Sockeln und Basen, erscheinen man-
cherlei bunte Muster, rautenförmige und rundliche Stabverschlingungen,
besonders aber Stäbe, die in Spiralwindungen den Schaft bedecken, so dass
überall die Decoration sich von der constructiven Grundlage emancipirt und
auf eigene Hand ein phantastisch-Willkürliches Leben führt, das zuletzt
mit völliger Erschöpfung endet, oft auchsich mit den Formen der neu
auftauchenden Renaissance (wie bei Fig. 370) verbindet.
Das Schiff der Hallenkirchen zeigt stets das hohe, auf den Umfas- Dachformen.
sungsmauern ruhende Sattel (lach , während bei den Kirchen mit niedri-
gen Seitenschiffen letztere
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mit einem gesonderten
Pultdache sich an die
f ä Obermauer lehnen; die
, Thürme erhalten, wo sie
l i, nicht durchbroc-hene
l Steinpyramiden haben, in
i der Regel ein- schlank
[A km ansteigendes Z eltdach ;
Oder ein irierseitiges
Walmdach, dessen
g First, wie die Abbildung
1 Ü n! il zeigt, gewöhnlich ein
m A (xx Dachreiter krönt. Diese
satteldach. wahndacii, Zeltdach. Dädher sind in Holz con-
struirt und mit Metall,
Schiefer oder Ziegeln gedeckt.
Bei der Aufzählung der einzelnen Denkmäler, wo wir ebenfalls nur Zwei
das Wichtigste kurz hervorheben können, werden wir zwei HauptgrllpPßll Gmppem
zu Sondern haben, die sich nach dem verschiedenen 'Material von selbst x
ergeben. Im norddeutschen Tieflande , wo wir schon in romanischer Zeit
den Ziegelbau antrafen, finden wir auch jetzt eine Fortbildung der Back-
Stein-Architektur , die den gothischen Formen eine gewisse, dem Material