Drittes Kapitel.
Gothischer Styl.
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Sodann wurde auch bei dem Bestreben nach freien, lichten Räumen der
Abstand der Pfeiler sowie die Breite der Schiffe immer bedeutender, so dass
eine quadratische Stellung der Stützen für das Mittelschiff, eine beinah
eben so breite Anlage des Seitenschilfes zur Regel wurde. War hierdurch
das Mittelschiff aus seiner überwiegenden Stellung verdrängt, so hatte auch
die Anlage eines Querhauses, den gleich hohen und breiten Seitenschiffen
gegenüber, nur noch untergeordnete Bedeutung. Man liess es daher in der
Regel fort, was auch in ritualer Hinsicht kein Hemmniss fand, da diese
Bauten meistens Pfarrkirchen sind und also einer ausgedehnten Choranlage
nicht bedurften. Auch den Chor bildete man gewöhnlich in entsprechend
einfacherer WVeise, und zwar vorwiegend aus dem Achteck, liess auch den
Kapellenkranz und den Umgang fort. Nur bisweilen zog man die breiten
SeitenschiHe als weiten Umgang um den Chor, wodurch denn bei aller Ein-
fachheit eine überraschend kühne, lichtvolle und stattliche YVirkung erreicht
wurde. Eine wichtige Veränderung ergab sich nothwendig für die Fenster.
Diese konnten nur in den Umfassungsmauern angebracht werden, mussten
also eine bedeutende Höhe erhalten , wollte man nicht zu mangelhafte Be-
leuchtung und zu grosse Maueriiächen haben. Im Anfang wagte man noch
nicht, konnte es vielleicht auch mit dem herrschenden System nicht in
Uebereinstimmung bringen, die Fenster in ununterbrochenem Zuge auf-
steigen zu lassen. Man brachte deshalb wie an der Elisabethkirche zu Mar-
burg je zwei über einander an, was indess am Aeusseren die unbegründete
Voraussetzung eines zweistöckigen Inneren hervorrufen musste. Bald kam
man dazu, das Fenster in ganzer Länge bis auf die ziemlich tief angebrachte
Fensterbank hinunterzuführen, gab aber dann in der Regel, zu grösserer
Befestigung dar Stäbe und zur Vermeidung der monotonen Linien, durch
eingespannte asswerkmuster in Form von Galerien eine Zwei- oder Drei-
theilung auch der Höhe nach. Die Breite der Fenster entfernte sich dagegen
nicht erheblich von den hergebrachten Maassen, wodurch freilich bei den
grossen Abstandweiten jederseits noch beträchtliche WVandfiächen frei blie-
ben, die einen etwas leeren Eindruck verursachten. Auch die Ornamentik
fand in diesen Kirchen geringen Spielraum. Sie war fast ausschliesslich
auf die dem Auge ziemlich entfernt liegenden Pfeilerkapitäle verwiesen, an
denen sie denn auch bald erstarb, die nackte Kelchform zurücklassend, bis
in der Spätzeit des Styles selbst das Kapital gewöhnlich fortfiel, so dass das
Gezweige der Rippen unmittelbar aus dem Stamm des schlanken Pfeilers
sich verästelte. So war ein Inneres von einfacher Grundanlage, klarer Ein-
theilung, gleichmässiger Beleuchtung gleichartiger Räume gewonnen, wel-
ches freilich einen von den'französisch-gothischen Kathedralen weit ab-
weichenden Eindruck macht. Dort gipfelten sich Theile von verschiedener
Höhe, Beleuchtung und Ausdehnung in pyramidalem Aufbau organisch
auf, ein reiches Ganzes von mannichfachster Combination, von lebendig-
malerischer Wirkung, ein Erzeugniss reger Phantasie. Hier dagegen trägt
das Gleichartige der ganzen Anlage den Eindruck eines schlicht verstän-
digen Sinnes. Sahen wir dort das Gepräge aristokratisch -bürgerlichen
Wesens, so weht uns hier ein demokratisch-bürgerlicher Geist an, wie er
im Laufe des. 14. Jahrh. wirklich im Schooss der deutschen Städte sich
immer siegreicher Bahn brach. Damit hängt denn auch zusammen, dass die
Form der Hallenkirche weit überwiegend an Pfarrkirchen und den Bauten
L ü b k e , Geschichte d. Ärchitektur.