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Fünftes Buch.
englischen Architektur nur selten eine klare, organische Entwicklung, meist
nur eine Mischung von nüchtern-verständigem und üppig-phantastischem
YVesen , das sich freilich oft zu einer fast sinnbethörenden Pracht steigert
und mit einer wunderbaren Virtuosität des Meissels vorgetragen wird.
Kfwthcdr-vor- Aus der grossen Anzahl bedeutender Denkmäler 1) heben wir nur einige
ßamcrbury" charakteristische Beispiele hervor. Als das früheste lernten wir bereits die
östlichen Theile der Kathedrale von C anterbury kennen, von 1174 bis
1185 erbaut 2). Hier tritt an dem kreisrunden Chorschluss und Umgange,
so wie an den in kräftiger Plastik behandelten Details, noch der auslän-
dische Einfluss, und zwar in romanisirender Färbung, hervor. Wilhelm
von Sens begann den Bau, laut dem ausführlichen und höchst merkwürdigen
gleichzeitigen Berichte des Mönchs Gervasius, beim westlichen Kreuzschiff
(Fig. 363). In rascher Aufeinanderfolge wurden zuerst die beiden Seiten-
schiffe mit je fünf Kreuzgewölben versehen, sodann die" fast quadratischen
sechstheiligen Gewölbe des Mittelraumes ausgeführt. Sodann wurde das
zweite (östliche) Kreuzschiif mit seinen Apsiden errichtet und daran schloss
sich ebenfalls mit zwei sechstheiligen Gewölben der östliche Theil des
Chores, der sich indess verengern musste, weil man die beiden neben dem-
selben liegenden Thürme beibehalten wollte. Von hier aus gab man dem
Chor wegen der darunter befindlichen Krypta eine beträchtliche Erhöhung
und schloss ihn im Halbkreis ab, Während die Nebenschiffe , wie zu Sens
durch Doppelsäulcn vom Hauptraum getrennt, sichals Umgang fortsetzten.
Endlich fügt sich eine Rundkapelle zu Ehren des heilig gesprochenen Erz-
bischofs Thomas Becket, die sogenannte nBeckets-Kronea, der östlichen
Rundung an. So übertrifft dieser höchst bedeutende Chorbau mit seiner
Länge von 290 Fuss bei 40 Fuss breitem Mittelschiff die Ausdehnung
mancher tüchtigen Kathedrale. -Die spätere Zeit fügte seit 1376 noch ein
dreischifiiges Langhaus hinzu, dessen Gestalt in Fig. 360 sich darbietet,
lhemplerlsirclw und das die ganze Länge der Kirche auf 510 Fuss steigert. Bemerkens-
w London" werth durch ähnliche Verschmelzung mit romanischen Elementen und durch
eine besondere Grundform ausgezeichnet ist die Tem plerkirche zu
Londona), in ihrem Rundbau 1185 gegründet, in den gleich hohen Lang-
Katlivdr-wn schiffen 1240 vollendet. In grösster Consequenz ierscheint der früh-
s"hsb""l' gothische Styl an der mächtigen Kathedrale von S alis b u r y, deren östliche
Theile von 1'220 bis 1258 Iin ununterbrochener Bauführung errichtet wur-
deli, woran sich sodann in kurzer Zeit auch der Westbau sammt der Facade
schloss. An ihr entfalten sich, mit Beseitigung aller fremdländischen Ein-
ÜüSSe, die Eigenthümlichkeiten der englischen Frühgothik zu einem eben
so bedeutenden als reich entwickelten Ganzen. Schon der Grundriss (vgl.
Fig. 353) mit seiner langen dreischiffigen Anlage, den beiden QuerschiHen
mit ihren östlichen Abseiten, dem geraden Ohorschluss und seiner eben so
geschlossenen Lady-Chapel , endlich der Facade mit ihren neben den Sei-
tenschiden liegenden Thürmen ist der Normaltypus einer englischen Kathe-
drale. Die ganze innere Länge beträgt 430 engl. Fuss, wovon die Mitte S0
ziemlich untenden Scheitelpunkt der grossen Vierung fällt; dabei hat das
1) Vgl. die auf S. 2571 citirte Literatur- Ausserdem .E. Sharpa: Architectural paralleles
the principal Abbey churches. F01: London._
2) TVillis: The architvctßmxral hxstgry of Canterbury Cathcdral. London 1845.
3) R. IT. Billirzg: Archxtectural lllustrations and account o! the Temple church.
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