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Fünftes Buch?
ist besonders die Dachbildung. Weniger durch die Bedürfnisse, als viel-
mehr durch ein bestimmtes Stylgefühl, ist die" ungemein steile Ansteigung
des Daches bedingt. Meistens bietet es nach der Strasse seinen Giebel zur
Schau, der dann oft in lebendiger, organischerWeise ausgebildet wird.
Man lässt vom Hauptgesims lisenenartige Wandstreifen emporsteigem.
Durch diese wird der Giebel in einzelne verticale Felder getheilt. Jedes
Feld wird für sich mit einem verzierten Giebelchen oder auch mit einem
horizontalen Gesims geschlossen. Die Lisenen erhalten dagegen eine
F ialenbekrönung. Sodann werden die hohen, schmalen Wandfelder durch
mehrere Reihen von fensterartigen Oeffnungen belebt. Diese reiche Durch-
brechung, dies lebendige Aufstreben liegt durchaus im Charakter des gothi-
sehen Styles. Wir fügen ein Beispiel solcher reichen Giebelbildung an einem
YVohnhause zu Greifswald unter Fig. 331 bei, wvelches zugleich als
Prachtwerk polychromer Backstein-Architektur gelten kann. Dieser statt-
liche Giebelbau ist indess sehr häufig nur ein decoratives Architekturstück,
dessen Höhe die wirkliche Dachhöhe weit überragt. Die Langseiten der
grösseren Gebäude, wenn sie nach der Strasse hin ebenfalls sichtbar wur-
den, bekrönte man in-A der Regel mit einem oder mehreren' giebelartigen-
Aufsätzen, hinter welchen man die Seitenflächen des hohen Daches verbarg.
Ein Beispiel zierlichster Ausbildung solcher Decoration gibt die Abbildung
der Dachbekrönung. des ehemaligen Schauhauses zu Nürnb erg (Fig. 332).
Im Uebrigen verfuhr man ziemlich frei in der Gestaltung des Aufbaues je
nach den Erfordernissen und örtlichen Bedingungen, ohne eine strenge
Symmetrie als unerlässlich. anzuerkennen. Vielmehr liegt gerade in einer
gewissen Regellosigkeit ein hoher malerischer Reiz dieser Gebäude. Die
Rathhäuser schmückte man gern mit einem Thurme, der entweder in
schlanker Spitze aufsteigend, oder mit einem Zinnenkranze schliessend,
die Bedeutung des Gebäudes kräftig aussprach.
Wohngebäude. Manches Gemeinsame in Anordnung und Ausführung erhielten die
bürgerlichen Wohngebäude. In der Regel legte man sie auf schmalem aber
tiefem Grundplane in dichtgedrängten Reihen an. Häufig haben sie in der
Front eine Breite von nur drei Fenstern. Diese rückte man dicht zusam-
men, bildete sie hoch und breit, schied sie durch schmale Mauerpfeiler und
theilte die einzelnen durch Steinpfosten, so dass nur auf den beiden Ecken
eine grössere Mauerfläche sich" bot. Erker, die oft als Eckthürme vorsprin-
gen, dientenals besonderer Schmuck der Facade. Auch liebte man Figuren
auf Consolen und unter zierlichen Baldachinen anzubringen. Den Giebel
ordnete man in der bereits beschriebenen Weise an. Manchmal aber gab
man dem Gebäude ein hohes Walmdach, wie am steinernen Hause zu Frank-
furt a. MÄ, Fig. 408 , Idessen pyramidalisch zurückweichende Spitze man
durch einen kräftigem Fries und Zinnenkranz zum Theil verdeckte, so dass
der Bau dadurch den Schein eines horizontalen Abschlusses und zugleich
einen burgähnlichen Charakter erhieltr So bildeten die meist schmalen,
hohen Häuser, dicht an einander gedrängt, eine Reihe selbständig aufstei-
gender Architekturen, welche in ihrer Geschlossenheit und der durch den
Giebel Scharf hervorgehobenen Besonderheit ein sprechendes Bild der aus
freien, mannhaften Bürgern bestehenden städtischen Gemeinden des Mittel-
alters gewähren. Oft ruht der vordere Theil des Hauses auf kräftigen
Pfeilern und Bögen, S0 dass eine Art von überwölbter oder iiachgedeckter