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Fünftes Buch.
Pfeiler-
stellung.
Pfeiler-
bildung.
der Druck daher auch gemindert und nicht so sehr nach der Seite als viel-
mehr senkrecht wirkend. Wendet man nun den Spitzbogen bei der Ueber-
deckung der Räume durchgehends an , so kann man einen Bau aufführen,
der aus einzelnen kräftig gestalteten Gliedern besteht und immer schlanker
und leichter emporwächst. Auf dieses Princip begründete man den neuen
Styl. O
Wir fanden schon in der entwickelten romanischen Architektur Kir-
chen, in welchen die quadratische Theilung des Grundrisses, wie die ge-
wölbte Basilika sie aufwies, verlassen war, und das Mittelschiff dieselbe
Anzahl von Gewölben hatte, wie das Seitenschiff. Diese dort ausnahms-
weise vorkommende Anlage wurde nun kraft der spitzbogigen Ueberwölbung
zum Grundprincip des Langhausbaues erhoben. Dadurch ergab sich als
selbstverständlich die völlig gleiche Behandlung aller Pfeiler. Zugleich aber
brauchte man die Abstände der einzelnen Stützen nicht mehr auf die halbe
Breite der Mittelschiffweite zu beschränken. Obwohl man dieses Maass in
manchen, namentlich früheren Kirchen beibehielt, ging man doch bald
davon ab und vergrösserte , um freiere Durchblicke zu gewinnen , den Ab-
stand der Pfeiler selbst bis zu zwei Dritteln der Mittelschiffbreite. Diese
letztere aber steigerte man nicht etwa im Verhältniss zu den früher üblichen
Maassen; vielmehr schränkte man die Weite gegen die mancher romanischen
Kirchen ein und liess dieselbe durch die grössere Höhe des Mittelschiffes
noch schmaler erscheinen.
Die Form der Pfeiler weicht völlig von der des gegliederten roma-
nischen Pfeilers ab. Der Kern ist nämlich rund, aus gut bearbeiteten Werk-
Stücken zusammengefügt, verbindet sich aber mit einer Anzahl von Drei-
viertelsäulen, welche D ien ste genannt werden, weil sie zum Tragen der
Gewölbrippen dienen. Ihre geringste Zahl beläuft sich in guter Zeit und
bei reich entwickelten Bauten auf acht, davon die vier,
n? 295" welche den Längen- und Querrippen entsprechen, die
sogenannten alten Dienste, stärker, die vier für die
Kreuzriprien bestimmten J ungen Dienste schwächer
gebildet sind. Manchmal erhielt dieser Bündelpfel-
ler eine weit grössere Anzahl von Diensten, die sich
' jedoch gewöhnlich nach der Zahl der Gewölbrippen
richtete. Diese weichen, geschwungenen Formen stan-
Gothisehey Pfeilen den aber in keiner inneren Verbindung mit einander;
sondern erschienen nur willkürlich zusammengefügt.
Man höhlte daher bald den zwischen den Diensten liegenden Theil des
Pfeilers aus, so dass eine tief eingezogene Kehle die einzelnen trennte. Der
P-feilerkern trat dadurch in seiner Erscheinung noch mehr zurück, in an-
gemessener Uebereinstimmung mit der Bedeutung, welche man ihm bei-
legte. Denn Obwohl er in Wahrheit die Dienste hält und befestigt, S0 S011
es doch den Anschein gewinnen, als ob diese ganz aus eigner Kraft und
Selbständigkeit die Gewölbe trügen und stützten. Deshalb sind sie als das
Wesentliche, als eine freie Vereinigung besonderer Glieder ausgebildet.
Dies Verhältniss drückt sieh auch in der Basis aus Der ganze Pfeiler
hat einen polygonen Sockel, auf welchem sich mit einer Abschrägung die
ebenfalls polygonen Sockel der einzelnen Dienste, nach oben und unten
durch einige feine Glieder begrenzt, erheben. Diese Glieder lassen noch die