Zweiytes Kapitel.
Romanischer Styl.
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nördlicher gelegene Ravenna als Träger einer neuen selbständigen Ent-
wicklung der Baukunst hervortrat. Das Innere wurde in einfach klarer
Weise durchgebildet, besonders aber das Aeussere entsprechend durch
reichen, vielfarbigen Marmorschmuck ausgestattet. In der Bildung des pla-
stischen Details, der Kapitäle und Gesimse, schloss man sich den antiken
Formen, manchmal mit feinem Verständniss, an. Pisa, die mächtige Han- Dom zu Pisa.
delsstadt, ging hier mit ihrem D 0m voran, der 1063 nach einem glänzen-
den Siege über die Sicilianer begonnen und durch den Baumeister Rainaldus
ausgeführt wurde. Nicht allein durch das prachtvolle Marmormaterial,
sondern weit mehr noch durch die eigenthümlich neue und grossartige Weise
der Composition, nimmt dieser Bau eine hervorragende Stellung ein. Ein
breites Mittelschiff (vgl. den Grundriss Fig. 265) , von vier niedrigen Sei-
tenschiifen begleitet, öffnet eine bedeutende Perspective, die durch ein drei-
schiffiges Querhaus durchbrochen und von einer mächtigen Apsis geschlos-
sen wird. Auch die Querarme enden mit je einer ihrer geringeren Weite
entsprechenden kleineren Nische. Ueber den schlanken Säulen erheben
sich Galerien, die sich mit Pfeilern und Säulen öffnen, und selbst vom
Querschid nicht unterbrochen werden. Darüber liegen die kleinen Licht-
öffnungen. Höchst charakteristisch für die Wirkung sowohl des Inneren
wie des- Aeusseren ist die Kuppel auf der Kreuzung, die merkwürdiger
Weise, wegen der verschiedenen YVeite von Langhaus und Querschiif, eine
ovale Grundform hat. Die Seitenschiffe haben Kreuzgewölbe, die Emporen
und Mittelräume flache Holzdecken. Am Aeusseren erscheint hier zum
ersten Mal eine consequent durchgeführte, dem inneren System der Stützen
entsprechende Gliederung der Flächen durch Pilaster und Wandsäulen mit
Blendbögen oder Gesimsen. Am glänzendsten ist in derselben Anordnung
die dem Aufbau des Langhauses entsprechende Facade behandelt, beson-
ders durch reiche Ornamentation und wechselnde Lagen weissen und
schwarzen Ma1'mors geschmückt. YVenn nun auch das Querhaus mit seinen
niedrigeren Dächern nicht recht organisch mit dem Langhause verbunden
erscheint, so ist das ein Mangel, der die Bedeutung des im Ganzen hier
Geleisteten kaum zu schmälern vermag. Mit dem Dome bilden zwei andere Baptisterium
dazu gehörige mächtige Bauten eine der imposantesten Gruppen: das B ap- m21
tisterium , ein Rundbau mit innerem Säulenkreise und einer Galerie
darüber, 1 153 von Diotisalvi errichtet, 11m1 das Campanile (der Glocken-
thurm) , von den Baumeistern Bonamw und Wilhelm um jmwpmck im 1
J. 1174 aufgeführt, wie gewöhnlich bei den italienischen Kirchen selb-
ständig neben dem Dome liegend. Der Thurm ist rund und gleich dem
Baptisterium mit Pilaster- und Bogenstellungen decorirt. (Doch sind an
letzterem die Giebelchen und Spitzthürmchen spätere gothische Zusätze.)
Berühmt ist der Thurm wegenseiner auffallend schiefen Neigung, die an-
fänglich ohne Zweifel durch den ungenügend fundamentirten Grund veran-
lasst, dann aber aus Lust am Seltsamen beibehalten wurde.
In mancher Beziehung behaupten die Bauten in Floren z eine beson- Bguten in
dere Stellung. Minder Originell in der Anlage, gehen sie auf eine noch Bieren?"
feinere Detailentwicklung aus, und behandeln namentlich die musivische
Ausschmügkung mit verschiedenfarbigem Marmor in edlerer, dem baulichen
Organismus sich anschliessender Weise. Das in der Nähe des Doms lie- Baptisterium.
gende Baptisterium , ein achteckiger Bau, im Inneren mit Pilaster- und