Zweites Kapitel.
Romanischer Styl.
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Dort verkröpfen sich diese Vorlagen dann plötzlich und bezeichnen die
Stelle ihres Aufhörens durch consolenartige Glieder, die, wenn auch manch-
mal reich prorilirt und ornamentirt, doch einen mehr pikanten als schönen
Eindruck geben, ohne für die durch sie empfindlich verletzte organische
Gliederung der Mauerliächen Ersatz bieten zu können. Zwei Beispiele
solcher Consolenbildungen aus der Kirche zu G elnhau sen unter Fig. 208
und 209 gewähren zugleich eine Anschauung von der reich und scharf
prolilirten Bildung der Deckplatten.
Fassen wir die Gesammterscheinung dieser Bauwerke in's Auge, so
tritt die Verschiedenartigkeit ihrer inneren Bestandtheile lebendig zu Tage.
Die alten romanischen Traditionen sind in ihren Grundlagen noch unange-
tastet: das Wesentliche der Raumtheilung, des Aufbaues, der Gesammt-
gliederung ist bewahrt. Aber durch den architektonischen Organismus zuckt
ein neues , fremdartiges Leben, das zunächst an allen minder bedeutenden
Punkten hervorbricht, dann immer weiter um sich greift und seine hastigen,
wirksamen, unruhigen Formen immer kühner zu Tage bringt. Es sind zwei
ganz verschiedene Richtungen, die sich auf gemeinsamem Gebiet begegnen.
Der alte priesterliche Geist, als dessen Ausdruck wir den romanischen Styl
kennen lernten, prägt dem Leben noch immer seine Gesetze auf; aber der
Inhalt dieses Lebens ist ein ganz anderer geworden. Die Städte fühlen sich
in ihrer Macht, und das Bürgerthum, wenn auch im Inneren keineswegs
priesterfeindlich, hat doch die Formen des Daseins nach eignem Geiste
umgeschaffen. Das subjective Gefühl der Laien bricht überall durch die
Starrheit des allgemeinen Dogmas hervor, aber es bleibt doch wesentlich
durch dasselbe gebunden, und so erhält die Bewegung einen gemischten
Charakter. Dies entspricht gerade dem damaligen Zustande des deutschen
Lebens, welches zu jener Zeit im Bürgerthum seine glänzendste Erschei-
nung sah. Nimmt man noch hinzu, dass auch die Baukunst eine freiere
Stellung erlangt hatte, dass sie nicht mehr ausschliesslich in den Händen
der Klostergeistlichkeit lag, sondern dass in jener Epoche weltliche Meister
aller Orten hervortraten, und grosse Bauunternehmungen aus dem begei-
sterten Selbstgefühl der Städte entsprangen: so wird Entstehung und
XVesen des Uebergangsstyles hinreichend veranschaulicht sein. Diese Bau-
epoche währte nun in der geschilderten Weisabis gegen die Mitte des
llä. Jahrh. , ja in manchen Gegenden in. die zweite Hälfte dieses Jahrhun-
derts hinein, um welche Zeit sie, wie W1l' Später sehen werden, vom gothi-
scheu Styl verdrängt Wurde-
Gesammt-
charakter.
Abweichende Anlagen
und
andere
Bauten.
Zu den von der Basilikenfßrm abweichenden Bauwerken haben wir Dorfkirahen.
zunächst die einfachen Dorfkirchen zu rechnen, dig meistentheils nur
einschiffig und ohne QuerschiH sind. Manchmal besteht die ganze Anlage
nur aus einem rechtwinkligen Raume, an welchen sich östlich ein schma-
leres Rechteck für den Chor, westlich ein viereckiger Thurm schliesst. Der
Chor hat in der Regel Seine APSiS, doch fehlt auch diese mitunter. Andere
Anlagen nehmen das Kreuzschiif noch hinzu, wieder andere entbehren
dieses, haben aber die niedrigen Seitenschiffe, die mit oder ohne Apsis
schliessen. In allen diesen Fällen pflegt nur ein Thurm, und zwar im