Zweites Kapitel.
Romanischer Styl.
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sten erregt war, um so lebendiger musste es auch in den künstlerischen
Unternehmungen sich darthun. In Frankreich, dem Lande der Initiative Folgen des-
und der Neuerungssucht, entstand aus enen Anregungen und diesem ge- gelbem
waltigen geistigen Gähren in kurzer Frist ein ganz neuer Architekturstyl,
der gothische. In Deutschland aber, wo das zähe Festhalten am Ueber-
lieferten eben so wohl in einer Treue der Gesinnung, wie in einer gewissen
Schiverfälligkeit des XVesens als charakteristischer Nationalzug begründet
liegt, blieb man lange bei derjenigen Umgestaltung der romanischen Bau-
weise stehen, welche mit dem Namen des Uebergangsstyles bezeichnet wird.
Dieser Ausdruck ist angegriffen worden , weil man die gedachten Erschei- Name und
nungen nicht als geschlossenen Styl dem romanischen und gothischen gegen-
überstellen könne, und weil er zu der irrigen Meinung leicht verführe, als
0b der romanische Styl durch diese nUebergängeu hindurch seine Umwand-
lung zur Gothik bewerkstelligt habe. Man hat deshalb mancherlei andere
Benennungen, als Spätromanischer, Nachromanischer u. dgl. vorgeschlagen.
Am bezeichnendsten könnte "man ihn vielleicht Romanischer Spitz-
bogen styl nennen, da in diesem Ausdruck das Wesentliche seines Inhalts
gegeben ist. Allein das Kürzeste und Zweckmässigste dürfte sein, es bei
dem einmal üblich gewordenen Namen bewenden zu lassen, wenn man nur
festhält, dass er nicht einen inneren Uebergang vom romanischen zum
gothischen, sondern nur die üppige, zum Theil entartete , immerhin aber
prächtige Nachblüthe des romanischen Styls bezeichnet.
Das hervorstechendste Merkmal der Uebergangsbauten ist nun der Spitzhogen.
Spitzbogen. Wir fanden seine Form schon in der Frühzeit der ägyp-
tisch-mohamedanischen Architektur, doch ohne tiefere constructive Bedeu-
tung." Auch jetzt nimmt er zunächst eine vorwiegend decorative Stellung
ein und erscheint bald an diesem, bald an jenem Theile der Bauwerke.
XVie die architektonische Entwicklung im Mittelalter stets vom Inneren
ausgeht, so findet man die neue Bogenform zuerst im Inneren von Gebäu-
den, deren Aeusseres noch durchweg romanische Bildung athmet. So er-
scheint er z. B. an den Arkaden offenbar nur, um eine pikante Abwechslung
der Formen zu gewähren, indess Wölbungen und Fenster noch rundbogig
sind. Auch kommt es vor, dass die östlichen Theile, bei denen man den
Bau zu beginnen pflegte, noch den Rundbogen zeigen, während das in der-
selben Bauepoche entstandene Langhaus den mittlerweile wahrscheinlich
in Aufnahme gekommenen Spitzbogen hat, wie an der Pfarrkirche zu
Büren bei Paderborn. Bei anderen Gelegenheiten ergab sich die neue
Form durch eine besondere Nothwendigkeit. Wollte man nämlich Stützen
von verschiedener AhstandSWeite durch gleich hohe Bögen verbinden, so
musste zwischen den engeren Stützen, wofernman nicht den Rundbogen
überhöhte, ein Spitzbogen angewandt werden. So findet er sich in der
Marienbergkirche zu HelmStiidt, wo die dem Kreuzschiff angren-
zende Pfeilerstellung der Arkaden enger ist als die der übrigen, und daher
den zugespitzten Bogen zeigt.
Auf ähnliche Weise mochte zunächst auch am Ge wölbe diese Bogen- Gewölbe.
form sich eindrängen. Sobald man nichtquadratische, längliche Felder ein-
wölben wollte, ohne den Rundhogen ganz aufzugeben, kam man dazu, die
engere Säulenstellung spitzbogig zu verbinden , um mit dem über den wei-
teren Abständen errichteten Rundbogen gleiche Scheitelhöhe zu erreichen.