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Fünftes Buch.
Wie richtig ihr Blick, wie glücklich ihr Griff dabei war, wird sich bei Be-
trachtung der Einzelgruppen noch ergeben, Wenn wir auf manche schwer-
fällige, abweichende Bestrebungen stossen werden, die demselben Ziele,
aber nicht mit derselben Klarheit und Einsicht sich zuwenden.
Der
sogenannte
Uebergangsstyl.
Auftreten In den Grundzügen, welche wir in den letzten Abschnitten zu zeichnen
dasselbe" versuchten, beharrte der romanische Styl bis weit über die Mitte des
12. Jahrh. Um diese Zeit machen sich innerhalb des romanischen Form-
gebiets Erscheinungen bemerklich, die in gewissem Grade die Reinheit
und Strenge des Styls verwischen und an die Stelle seiner bei aller Man-
nichfaltigkeit im Einzelnen doch imposanten Ruhe ein unruhiges Schwanken
und selbst ein zweckloses Spiel mit Gliederungen und Constructi0ns-Ele-
menten setzen. Grundanlage , Aufbau und Eintheilung der Räume bleiben
zwar im Wesentlichen dieselben, allein es macht sich das Bestreben nach
grösserer Leichtigkeit und Schlankheit, nach lebendigerer Theilung der
Massen geltend, und zu den auf den höchsten Grad des Reichthums und
der Zierlichkeit entwickelten Formen des alten Styls gesellt sich als fremd-
artig neues Element der Spitzbogen.
Ursachen- Diese Erscheinung, die in Deutschland die weiteste Verbreitung und
die längste Dauer erlebte, findet ihre Erklärung im Geiste jener Zeit. Es
waren die Tage der höchsten Blüthe des Mittelalters angebrochen. Eine
wunderbare Begeisterung hatte schon mehrmals die Völker des christlichen
Kreuzzüge. Abendlandes zu enen märchenhaften Ritterfahrten der Kreuzzüge an-
getrieben , welche das altersschwache Byzanz mit Staunen und das unge-
stüme Sarazenenthum bald mit Schrecken erfüllten. Frankreich, das Land
des glänzendsten Ritterthums, hatte den Impuls zu jenen Zügen gegeben;
die anderen Länder , namentlich Deutschland , schlossen sich nur zögernd
und allmählich an. Denn kein Volk konnte sich von der allgemeinen Regung
absperren, die wie eine gewaltige Gährung die Geister ergriff und alle Ver-
hältnisse des Lebens von Grund aus umzukehren drohte. Inzwischen hatte
dieses Leben selbst längst eine ganz andere Gestalt gewonnen. Zahlreiche
Städte waren unter dem Schutz fürstlicher Privilegien entstanden, hatten
durch Handel und Gewerbiieiss sich zu Reichthum und Ansehen erhoben
und sich auf eine hohe Stufe der Macht emporgeschivungen. Diese städti-
schen Republiken des Mittelalters übten zu jener Zeit ein Regiment von
vorwiegend aristokratischer Färbung, gestützt auf eine Anzahl alter, bevor-
rechteter Patrizierfamilien. Hinter Mauer und Graben trotzten die mann-
haften, vfaßengeübten Bürger selbst fürstlicher Gewalt und standen, durch
weit verzweigte Bündnisse, besonders durch die Hansa, gesichert, alS
gefürchtete Macht da.
Einßuss des EinerSeits auf den Handelswegen, andererseits durch die Kreuzzüge,
0"e"ts' lernten nun die Völker des Abendlandes die Sitten, Gebräuche und beson-
ders die Bauweise der Mohamedaner kennen. In Sicilien waren die Nor-
mannen sogar schon im 11.Jahrh. mit diesen in Cünflict gerathcn, hatten
auf den Trümmern ihrer gestürzten Herrschaft ein eigenes Reich errichtet
und in ihren architektonischen Leistungen sich sofort 'den dorther empfan-
genen Einflüssen hingegeben. Je tiefer aber das Gefühl der Zeit im Inner-