Zweites Kapitel.
Romanischer Styl.
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diesen Styl ein und prägt bei selbständiger Anwendung desselben sein
Wesen in mancher chrakteristischen Modiücation und Neugestaltung aus.
Sprachen wir schon oben von der Rastlosigkeit, welche sich in allen Innere Man-
Lebensäusserungen des Mittelalters kund gibt, so ist auf den romanischen "M'la"igke'3t-
Styl recht eigentlich diese Bezeichnung anzuwenden. Die ganze Epoche,
Welche er ausfüllt, und die etwa vom Jahre 1000 mehr als zwei Jahrhun-
derte umfasst, ist eimununterbrochenes Ringen und Arbeiten des architek-
tonischen Geistes. Fasst man die Fülle origineller Schöpfungen in's Auge,
welche auf dem fruchtbaren Boden des romanischen Styls emporgeschossen
sind, so erkennt man bei aller Strenge und Allgemeinheit des Grundcharak-
ters doch zugleich eine unglaublicheMannichfaltigkeit sowohl in den Com-
binationen des Ganzen, in der Zusammenordnung seiner Theile, als in der
Oonstruction und dem decorativen Element. Der romanische Styl hat in
dieser Beziehung einen grossen Reichthum an individuellem Leben, welches
aber durch das zu Grunde liegende allgemeine Gesetz in fester, unerschüt-
terlicher Würde gehalten wird. Diese Mannichfaltigkeit aber und der fort-
währende Gährungsprozess, in welchem jener Styl erscheint, so anziehend
er für die Betrachtung ist, so schwierig macht er die Darstellung. Nur
indem wir mit treuer Aufmerksamkeit dem Gange der Entwicklung nach-
schreiten , werden wir ein Bild der romanischen Architektur erhalten.
Das romanische Bausystenl.
Die architektonische" Bewegung schreitet während der romanischen
Epoche in den einzelnen Ländern so verschiedenartig vor , dass es beinahe
unmöglich ist, eine feste geschichtliche Eintheilung aufzustellen. Nur so
viel lässt sich im Allgemeinen voraufschicken, dass der Baustyl während
des l l Jahrh. durchweg noch eine gewisse Strenge und Einfachheit athmet,
dass er im Laufe des 12. Jahrh. seine reichste und edelste Blüthe entfaltet,
und gegen Ende dieses und im ersten Viertel des 13. Jahrh. zum Theil
ausartet, zum Theil sich mit gewissen neuen Formen verbindet und ein
buntes Gemisch verschiedenartiger Elemente darbietet. Im Uebrigen waltet,
selbst innerhalb der einzelnen Phasen der Entwicklung, sowohl in con-
structiver als auch in decorativer Hinsicht eine grosse Mannichfaltigkeit
der kleineren geographischen Sondergruppen und Schulen. Wir sind daher
genöthigt, die wesentlich verschiedenen Hauptarten, in welcher der Styl
Seine architektonische Aufgabe fasste, nach einander zu betrachten. obwohl
sie zeitweise zugleich neben einander in Geltung waren
(Thronolo-
gisches.
Die
flachgedeckte
Basilika.
Dass der mittelalterliche Kircbenbau von der Form der altchr-istlichen Grundplau.
Basilika ausgegangen, wurde bereits oben bemerkt. Doch sind die Umge-
staltungen , welche jene Grundform erfuhr, sehr eingreifender Art. Selbst
die Haupt-Dispositionen des Raumes, welche man beibehielt, wurden we-
nigstens auf eine feste Regel zurückgeführt. Am entschiedensten änderte Chorbildung.
sich die Anlage des C h 0 res. Man ging nämlich von dem grossen Quadrate,
welches bei der Durchschneidulmg von Mittelschiff und Querhaus entstanden