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Fünftes Buch.
der römischen Ueberlieferung in der Architektur selbst _von den durchaus
germanischen Nationen anerkannt und aufgenommen wurde, welche in der
Entwicklung ihrer Sprache dieselbe auf s Entschiedenste zurückwiesen.
Germanische-s, Dass aber das germanische Element das eigentlich schöpferische, die
Elemem Entwicklung treibende Princip bei der Neugestaltung der Baukunst war, er-
hellt auf's Klarste aus einem flüchtigen geographischen Ueberblick. Dieser
zeigt uns die lebendigste architektonische Thätigkeit bei den vorwiegend ger-
manischen Völkern, den Deutschen, Engländern, den Nord-Franzosen und
den norditalienischen, stark germanisirten Stämmen. Der Kern Italiens, be-
sonders Rom, verhält sich während dieser ganzen Epoche so gut wie indiffe-
rent gegen die neue Bewegung, und klammert sich an die dort übermächtige
antike Tradition an, wo nicht etwa vereinzelte Einflüsse von Byzanz sich
Bahn brechen. Allerdings werden wir auch in den Bauten der übrigen
Länder byzantinische und selbst einzelne, durch die Kreuzzüge eingedrun-
gene maurische Elemente antreffen; doch mischen sie sich nur in bescheid-
ner Unterordnung in die volle und reiche Harmonie, ohne dieselbe zu stören.
Darin aber beruht ein Hauptgrund für die Anziehungskraft, welche gerade
der romanische Styl für den Betrachtenden hat, dass durch die gemeinsame
Grundfärbung die nationalen Besonderheiten in ihren verschiedenen Schat-
tirungen hindurchschimmern, dass derKerngedanke des Styles in mannich-
faltigster Weise variirt erscheint. Es ergibt sich daraus eine Lebensfülle,
eine Frische und Beweglichkeit des Styles, die um so bemerkenswerther
hervortritt, je ernster und strenger sein eigenstes YVesen ist.
Priestcrlichcr Es verdient nämlich scharf hervorgehoben zu werden, dass der roma-
Cha'akter' nische Styl seinem Grundcharakter nach ein hieratischer ist. Auch in dieser
Beziehung erscheint er als der treue Spiegel seiner Zeit. Einen hierarchi-
schen Zuschnitt hatte das ganze Leben, und vielleicht um so mehr, je
weniger im Anfang die weltliche Macht der Priesterschaft sich geltend
machte. Doch fällt die höchste Aufgipfelung der päpstlichen Obergewalt
unter Gregor VII. bereits in diese Zeit. Aber abgesehen von jenem mehr
auf äussere Zwecke gerichteten Streben, war im Anfang dieser Epoche
das Priesterthum ausschliesslich (Träger der geistigen Bildung und der ma-
Bedeutung teriellen Cultur. Die Klöster waren nicht allein die Pflanzstätten der Wis-
d" Klößen senschaft und Gesittung, die Herde für jede künstlerische Thätigkeit: sie
machten auch das Land urbar und schufen aus Wüsteneien fruchtbare,
lachende Oasen. Jene Hinterwäldler des Mittelalters, die Mönche, waren
daher auch die einzigen, in deren Händen sich die Pflege der Baukunst
befand. Sie entwarfen für ihre Kirchen und Klostcranlagen die Risse und
leiteten den Bau. Feste Schultraditionen entsprangen daraus, knüpften ihre
Verbindungen von Kloster zu Kloster und wirkten dadurch , bei aller Ein-
' heit der Grundformen, zu der hiannichfaltigkeit der Gestaltungen mit. Wie
sich um die grösseren Abteien bald Ansiedlungen sammelten und allmählich
Städte heranwuchsen, so bildeten sich auch aus den Handwerkern, welche,
im Klosterverbande lebend, den Mönchen bei der Ausführung der Bauten
dienten, genossenschaftliche Verbindungen , aus denen in der Folge ohne
Zweifel die Bauhütten hervorgingen. Erst gegen Ausgang der romanischen
Epoche, wo die inzwischen zahlreich gegründeten Städte Macht undReich-
thurn zu entfalten begannen, dringt auch der Geist des Bürgerthums in