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Viertes Buch.
Anhang
Russische Baukunst.
Aeusseres.
blitzenden Schimmer edler Metalle geschmückt wird, so eng, düster und
gedrückt ist gleichwohl der Eindruck desselben. Hier weht kein Athemzug
eines freien Gedankens, einer erhöhten, begeisterten Empfindung. Der
Despotismus, der selbst die Gewissen knechtet, lastet mit bleierner Schwere
auf dieser Architektur und verbannt aus ihr Licht, Luft und freudiges Auf-
streben. Am Aeusseren aber feiert er in barbarisch-wilder Lust seine sinn-
losen Orgien. Aus dem niedrig gedrückten Körper des Baues wuchern eine
Unzahl von Thürmen und Kuppeln hervor, in den ausschweifendsten For-
men sich gebahrend. Halbkugelig, eiförmig, ausgebaucht, birnenartig ge-
wunden, bald kraus und hoch hinaufschiessend, bald schwerfällig breit
hingedehnt, dabei mit bunten Farben und Vergoldung bedeckt, sehen sie
nach Kuglefs treffendem Vergleiche seinem Knäuel glitzernder Riesenpilzea
ähnlich. So sind auch die übrigen Theile des Aeusseren mit barbarisch
verwilderten Ornamenten in greller Bemalung vollständig bedeckt. Man be-
greift diesen Bauwerken gegenüber ene Geschichte vom Baumeister der der
nschützenden Muttergottesa geweihten Kirche Wassilij Blagennoi zu
Moskau, welchem Iwan Wassiljewitsch der Schreckliche die Augen aus-
stechen liess, damit er kein zweites Weltwunder baue. Das geschah um
die Mitte des 16. Jahrh., ein Beweis, dass weder die Cultur noch die Bau-
kunst in Russland seit ihrem Beginn erhebliche Fortschritte gemacht hatte.
Neuerdings hat indess auch hier, namentlich in den Profanwerken
die im gebildeten Europa herrschende modern-antikisirende Baukunst Ein-
gang gefunden.